Petra Hinz (* 10. Juni 1962 in Essen) ist eine ehemalige deutsche Politikerin. Sie war von 2005 bis 2016[1] Mitglied des Deutschen Bundestages für die SPD. Nach Mobbingvorwürfen ihrer Mitarbeiter sowie einer Affäre um Falschangaben zum eigenen Lebenslauf trat sie Anfang August 2016 von allen Parteiämtern zurück und legte ihr Bundestagsmandat zum 31. August 2016 nieder.[2][3] Zum 5. September 2016 trat sie nach eigenem Bekunden aus der SPD aus.[4]
Petra Hinz wuchs in Essen im Ruhrgebiet auf. Laut Angaben ihrer Rechtsanwälte schloss sie ihre Schullaufbahn am heutigen Erich-Brost-Berufskolleg der Stadt Essen 1983 mit der Fachhochschulreife ab.[5][6] Recherchen des Journalisten Pascal Hesse zeigten, dass Hinz nur den Hauptschulabschluss besitzt.[7] Anschließend absolvierte sie laut Abgeordnetenbiografie des Deutschen Bundestages ein einjähriges Praktikum bei der Sparkasse und von 1985 bis 1987 eine Ausbildung in Moderation und Kommunikation.[8] Von 1999 bis 2003 übte sie nach Angaben ihrer Rechtsanwälte eine „nicht juristische“ Angestelltentätigkeit aus.[6] Hinz wohnt im Essener Stadtteil Margarethenhöhe.[9] Nach dem Ausscheiden aus der Politik hat sich Hinz nach eigenen Angaben in Psychotherapie begeben und sei den Jakobsweg gelaufen.[10]
Hinz wurde 1980 Mitglied der SPD und war seit 1982 in zahlreichen Funktionen tätig, so unter anderem seit November 2003 als stellvertretende Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Essen. Am 18. Juli 2016 erklärte sie ihren Rücktritt von dieser Funktion.[11] Sie war Mitglied im beratenden Sprecherkreis des Seeheimer Kreises.
In der Essener SPD gehörte Hinz zum Parteiflügel um den früheren Bundestagsabgeordneten Otto Reschke.[12]
Die SPD in Essen leitete wegen des gefälschten Lebenslaufs ein Parteiordnungsverfahren gegen Hinz ein.[13] Hinz kündigte kurz darauf an, sie wolle aus der SPD austreten.[14] Nach eigenen Angaben verließ Petra Hinz zum 5. September 2016 die SPD, 2017 gab sie an, mit der Partei „durch“ zu sein.[10]
Von 1989 bis 2005 gehörte Hinz dem Rat der Stadt Essen an, von Oktober 2004 bis 2005 als stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Von 2003 bis 2005 war sie auch im Regionalrat für den Regierungsbezirk Düsseldorf. 2005 wurde sie nach einer Kampfabstimmung von ihrem Unterbezirk als Kandidatin für den Bundestagswahlkreis Essen III nominiert.[15]
Seit dem 18. Oktober 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Bei der Bundestagswahl 2005 konnte sie im Wahlkreis Essen III mit 48,1 % der Erststimmen gewinnen und bei der Bundestagswahl 2009 mit 38,6 %. Hinz war in der Wahlperiode 2009 bis 2013 ordentliches Mitglied im Finanzausschuss sowie stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss, im Petitionsausschuss und im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages.
Bei der Bundestagswahl 2013 erhielt sie 39,5 % der Erststimmen; Matthias Hauer (CDU) bekam laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis drei Stimmen mehr.[16] Eine durch den Kreiswahlausschuss beschlossene Neuauszählung aller rund 150.000 Stimmzettel ergab, dass Hauer 93 Stimmen mehr als Hinz erhalten hatte.[17] Sie zog über die Landesliste der SPD Nordrhein-Westfalen in den Bundestag ein. Dort war sie ordentliches Mitglied im Rechnungsprüfungsausschuss (Sprecherin ihrer Fraktion) und im Haushaltsausschuss. Des Weiteren war sie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Gesundheit sowie im Unterausschuss Kommunales und in ihrer Fraktion stellvertretende Sprecherin in der AG Kommunales.
Hinz kündigte am 18. Juli 2016 an, wegen Mobbingvorwürfen nicht erneut für den Bundestag zu kandidieren.[18] Im Zuge der Vorwürfe wurde bekannt, dass Hinz ihren Lebenslauf gefälscht hat. Weder hat sie das Abitur erlangt, noch ist sie Juristin. Nach Bekanntwerden dieser Vorwürfe ließ Hinz durch ihre Anwälte verlauten, dass sie von ihrem Bundestagsmandat zurücktrete.[19] Gegenüber der Presse gab sie an, ihren Rücktritt bei Bundestagspräsident Norbert Lammert erklären zu wollen, der allerdings zu der Zeit im Urlaub war. Dies wurde in den Medien kritisiert, da eine Rücktrittserklärung auch bei jedem deutschen Notar oder einer deutschen Botschaft möglich ist. Nach Angaben des Bundestags ließ Hinz mehrere Versuche scheitern, ihr noch im Juli einen Termin beim Bundestagspräsidenten zu verschaffen. Dieser hatte sich bereit erklärt, dafür nach Berlin zu kommen. Hinz habe dagegen um einen Termin im September gebeten.[20]
Der Essener SPD-Chef Thomas Kutschaty forderte Hinz am 1. August auf, binnen 48 Stunden ihren Rücktritt zu erklären. Es dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, als wolle sie auch noch die Bezüge für September erhalten.[21][22] Nach geltendem Recht hätte Hinz ihr Mandat bis zum Ende der Legislaturperiode wahrnehmen können; zum Rücktritt konnte sie nicht gezwungen werden.[23] Rechtliche Sicherheit dafür bot das Wüppesahl-Urteil.[24] Wegen der Aufforderung Kutschatys und seines Ultimatums an Hinz zur Aufgabe ihres Mandates warf ihm der Journalist Thomas Darnstädt auf Spiegel Online eine Missachtung der Freiheit des Mandats an der Grenze zur Abgeordnetennötigung (§ 106 Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB) vor.[25] Ihre letzten Nettobezüge aus ihrer Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete spendete sie an den Kinderschutzbund und das Friedensforum.[26]
Im März 2009 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen Petra Hinz ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung eingeleitet hatte und dazu ihre Immunität aufgehoben wurde. Ihr wurde vorgeworfen, seit 2003 keine ordentlichen Steuererklärungen beim Finanzamt abgegeben zu haben.[27] Im Juli 2009 wurde das Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt.[28]
Im Juli 2012 lud die Arbeitsgemeinschaft der SPD-Mitarbeiter im Deutschen Bundestag Hinz zu einem Gespräch über die Klagen von mindestens 20 ehemaligen Mitarbeitern ihres Bundestagsbüros über „irrsinnige Schikanen“ und „persönliche Erniedrigungen“ ein. Hinz verweigerte das Gespräch und schrieb stattdessen in einer Antwort, die Vorwürfe würden „jeder Grundlage entbehren“. Als Hinz nach der Bundestagswahl 2013 wieder einen Bürojob ausschrieb, verschickte die Arbeitsgemeinschaft eine „Warn-Rundmail“ an potenzielle Bewerber.[29]
Mitte Juni 2016 versandte eine „Gruppe ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Petra Hinz“ anonym einen Brief an diverse verantwortliche Stellen, so an die SPD-Landesvorsitzende und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, den Generalsekretär des SPD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen André Stinka und an die Mitglieder der Essener SPD-Ratsfraktion. Demnach gehörten „zum täglichen Umgangston im Büro Hinz persönliche Beleidigungen, Diffamierungen, Mobbing, ständige Überwachung und Maßregelung sowie die Übertragung von demütigenden Aufgaben“.[30][31] Durch diesen Brief sollte eine erneute Kandidatur Hinz’ für den Deutschen Bundestag verhindert werden, die bis dahin bereits über 50 Mitarbeiter „verschlissen“ und zuletzt gar keine mehr hatte.[32][33] Der anonyme Brief wurde auch an regionale und überregionale Medien verschickt. Zunächst nahm lediglich der freie Journalist Pascal Hesse (u. a. Informer Magazine, Essen) Recherchen auf; er sandte Anfragen an Petra Hinz und SPD-Parteigremien mehrerer Ebenen, in denen er eine Frist zur Beantwortung bis zum 23. Juni 2016, 12 Uhr, setzte. Nachdem die Frist ohne Antwort verstrichen war, veröffentlichte er wie angekündigt einen Artikel.[30] Am selben Abend erschien ein Artikel auf der Website der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.[34]
Hinz erklärte:
„Sollte der Autor des Schreibens SPD-Mitglied sein – was ich einfach nicht glauben mag – müssten die Essener Sozialdemokraten dafür sorgen, dass er oder sie nicht mehr lange Mitglied bleibt. Jemand, der in ehrabschneidender Weise sozialdemokratische Mandatsträger diffamiert und sozialdemokratische Delegierte nötigt, hat in unserer Partei nichts mehr zu suchen. Er verstößt gegen die Grundprinzipien der Partei, der Solidarität, der fairen demokratischen Diskussion und der demokratischen Wahl unserer Mandatsträger.“
Am 18. Juli 2016 gab Hinz bekannt, zur Bundestagswahl 2017 wegen der Mobbingvorwürfe gegen ihre Person seitens ehemaliger Mitarbeiter, die sie als unbegründet zurückwies, nicht wieder zu kandidieren.[18] Der Essener SPD-Vorsitzende Thomas Kutschaty zeigte sich überrascht und betonte, Hinz hätte eine „breite Rückendeckung für eine erneute Kandidatur erhalten“.[36]
Mit dem Historiker Norman Kirsten äußerte sich am 22. Juli 2016 erstmals ein ehemaliger Mitarbeiter öffentlich zu den Mobbingvorwürfen. Kirsten bestätigte in einem Interview die in dem anonymen Brief erhobenen Vorwürfe. Länger als ein gutes halbes Jahr habe er „es nicht ausgehalten“.[37][38]
In der Redaktion des Informer Magazine war infolge des Artikels über Mobbing-Vorwürfe der Hinweis eines Essener SPD-Mitglieds über Unregelmäßigkeiten in der Vita von Petra Hinz eingegangen, worauf die Redaktion Anfang Juli 2016 eine Anfrage an Hinz richtete.[39] Nach Gesprächen mit einem weiteren Essener SPD-Mitglied wurde diese Anfrage präzisiert und erneuert, ohne dass eine Antwort kam.[40] Das Magazin bat daraufhin am 19. Juli 2016 unter anderem Bundestagspräsident Norbert Lammert, den SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, die Landesvorsitzende der SPD Nordrhein-Westfalen Hannelore Kraft und Essens SPD-Chef Thomas Kutschaty um Auskunft.[41]
Am 19. Juli veröffentlichte ein Essener Anwalt im Auftrag von Petra Hinz eine Erklärung, wonach diese hinsichtlich ihres Lebenslaufs jahrzehntelang falsche Angaben gemacht habe. Entgegen ihren früheren Angaben, die unter anderem auf der Internetseite des Bundestages veröffentlicht waren,[42] habe sie weder die allgemeine Hochschulreife erworben noch ein Studium der Rechtswissenschaften absolviert und somit auch keine juristischen Staatsexamina abgelegt. Auch Angaben über eine Tätigkeit als Anwältin in einer Kanzlei, als Juristin im Management eines Konzerns sowie über eine freiberufliche Tätigkeit seien von ihr erfunden worden. Eine neue Version ihres Lebenslaufes wurde am selben Tag auf ihrer Abgeordneten-Website veröffentlicht. Ein großer Teil der in ihrer Biografie bis dahin[42] gemachten Angaben war demnach falsch.[5][6][43]
Die Staatsanwaltschaft am Landgericht Essen teilte am 20. Juli 2016 mit, sie prüfe aufgrund vorliegender Strafanzeigen, ob ein Anfangsverdacht wegen eines Täuschungsdelikts gegeben sei.[44] Der Deutsche Anwaltverein erklärte im August, er erwarte, dass die Formulierung „Anwältin in einer Kanzlei“ als Missbrauch von Berufsbezeichnungen gewertet werde.[45] Ende September 2016 gab die Staatsanwaltschaft bekannt, eine rechtliche Prüfung habe ergeben, dass kein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliege. Daher wurde kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.[46][47]
Am 26. Juli 2016 wurde publik, dass der ehemalige Essener SPD-Chef Dieter ten Eikelder bereits im Herbst 1989 aus den eigenen Reihen Hinweise über den gefälschten Lebenslauf erhalten und den damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Otto Reschke, Förderer von Hinz, informiert habe.[48][49]
Nach Angaben des früheren SPD-Landtagsabgeordneten Willi Nowack wusste die Führung der Essener SPD von den falschen Angaben in Hinz’ Lebenslauf. Insbesondere Reschke und der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty seien informiert gewesen; beide bestreiten das.[50] Dieter ten Eikelder bestätigte die langjährige Existenz von Gerüchten über Hinz’ Lebenslauf.[51]
Einer Pressekonferenz des Unterbezirk-Vorsitzenden Thomas Kutschaty am 4. August 2016 zufolge wolle Hinz alle Ämter der Essener SPD niederlegen, vorerst aber ihr Bundestagsmandat behalten.[52] Dies steht im Widerspruch zu der Verlautbarung vom 18. Juli 2016 auf ihrer Website, nach der sie ihr Bundestagsmandat niederlegen wollte.[18] Am 9. August 2016 kündigte sie in einem Interview mit nordrhein-westfälischen Zeitungen an, ihr Mandat nach Abschluss einer Klinikbehandlung aufzugeben; ein Zeitpunkt dafür blieb nach wie vor unbestimmt.[2][53] Kutschaty kommentierte dies unter anderem mit: „Jeder weitere Tag im Amt ist eine weitere Qual für alle Beteiligten.“[54] Am 10. August erklärte Hinz nach weitergehender Kritik u. a. von Hannelore Kraft, dass sie ihr Bundestagsmandat bei einem Notar zum 31. August 2016 niederlegen wolle.[55] Am 23. August ging eine Verzichtserklärung per Fax beim Bundestagspräsidenten ein, wirksam ist ein Verzicht allerdings erst bei Vorliegen der notariell beurkundeten Erklärung im Original.[56] Zum 31. August 2016 schied Petra Hinz aus dem Bundestag aus.
Personendaten | |
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NAME | Hinz, Petra |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Politikerin (SPD), MdB |
GEBURTSDATUM | 10. Juni 1962 |
GEBURTSORT | Essen |