Urs Michael Fiechtner (* 2. November 1955 in Bonn) ist ein deutscher Schriftsteller und Menschenrechtsaktivist.

Familie

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Urs Michael Fiechtner entstammt einer schwäbischen Offiziers- und Beamtenfamilie. Er ist ein Sohn von Oberst Dietrich Fiechtner (1913–1985), der als deutscher Militärattaché in Chile und Peru Augusto Pinochet nahestand[1], und Ingeborg Fiechtner geborene Weiger. Seine Großväter waren der Ulmer Oberstudiendirektor Karl Weiger, eines der führenden Mitglieder des 1920 als Nachfolgeorganisation der Ulmer Einwohnerwehr gegründeten paramilitärischen Schwabenbanners[2], und der im Ersten Weltkrieg als Hauptmann des 2. Bayerischen Fußartillerieregimentes gefallene Eduard Maximilian Fiechtner, Regierungsbaumeister in Château-Salins (Elsaß-Lothringen). Seine Urgroßväter waren Carl Weiger[3], Ehrenbürger von Oberkochen, Eduard Fiechtner, Ehrenbürger von Untertürkheim, und der Heimatdichter und Ulmer Schullehrer Paul Theodor Streicher.

Werdegang

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Von 1961 bis 1966 lebte Fiechtner in Santiago de Chile, wo er die Deutsche Schule besuchte. Anschließend zog die Familie, der militärischen Laufbahn des Vaters geschuldet, nach Köln und später nach Starnberg. Seit 1973 lebt Urs M. Fiechtner in Ulm und der Region. Er verließ alle weiterführenden Schulen vorzeitig, ohne einen Schulabschluss zu erlangen.

Zu seinem ersten politischen Auftritt als Maskottchen „El pequeño Cadete“ (der kleine Kadett) der chilenischen Streitkräfte wurde er 1963 von seinem Vater bestimmt. Die Bilder des vor der Militärparade oder flankiert von Bundespräsident Heinrich Lübke und Frau salutierenden Achtjährigen gingen durch die deutsche Presse.[4][5]

1970, als er mit 15 Jahren eine Schülergruppe von Amnesty International in Starnberg gründete, hatte sich Urs M. Fiechtner von dem politischen Milieu seines familiären Umfeldes distanziert. Er beteiligte sich an Schülerbewegungen gegen rechtsradikale Lehrer und Schuldirektoren, für die Integration von Gastarbeiterfamilien oder für den Aufbau einer Drogenberatung in Starnberg und München. 1973 gründete er eine Amnesty International-Gruppe in Ulm. Seither ist er ohne Unterbrechungen immer wieder zum Sprecher der Gruppe gewählt worden.[6] Seit 1977 arbeitet Urs M. Fiechtner mit der argentinischen Selbsthilfeorganisation Abuelas de Plaza de Mayo zusammen[7], den Großmüttern der während der Militärdiktatur verschleppten Kinder, sowie den Madres Alemanas, den Müttern deutscher und deutschstämmiger „Verschwundener“. 1981 gründete er die Argentinienhilfe e. V. in Ulm und 1993 die Initiative für den Aufbau des 1995 realisierten Behandlungszentrums für Folteropfer Ulm (BFU).[8] Im Jahr 2009 beteiligte sich Urs M. Fiechtner an der Bildung eines Fördervereins für das BFU, und 2014 wirkte er an der Gründung der Ulmer Stiftung Menschenrechtsbildung[9] mit. 2015 gründete er die Edition Kettenbruch, Publikationen zu Menschenrechtsthemen.[10][11][12][13]

Literarisches Werk

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1973 veröffentlichte Urs M. Fiechtner zum ersten Mal Lyrik in der den Jusos nahestehenden Ulmer Jugendzeitung[14]. Seit 1974 gibt er Autorenlesungen. Über die folgenden mehr als 40 Jahre werden es rund 2000 Lesungen im deutschsprachigen Raum und Chile. 1976 gründete er das interkulturelle Autorenkollektiv 79[15], die spätere autorengruppe79, zu deren zentralem Thema die Menschenrechte werden.

Zusammen mit dem chilenischen, im deutschen Exil lebenden Musiker Sergio Vesely entwickelte Fiechtner 1977 die Form der Konzertlesung als Verbindung von Literatur und Musik. Ihre Arbeitspartnerschaft bleibt über die folgenden Jahrzehnte bestehen.

Seit Beginn arbeitet er mit allen literarischen Gattungen, wobei die zentrale Form in Fiechtners Schaffen die Lyrik ist. Im Mittelpunkt des lyrischen Werkes steht der Gesang für América, eine poetische Erzählung der Geschichte Lateinamerikas von der indianischen Überlieferung über die Kolonialgeschichte bis zum Ende der Kolonialzeit. Der Zyklus ist in drei Stufen 1986, 1991 und 2000 erschienen.

Zusammen mit Sergio Vesely veröffentlichte Fiechtner 2015 das autobiografisch geprägte Buch Mit Möwenzungen in der Mehrzweckhalle. Die Rezensentin Susanne Rudolph lobte in der Südwest Presse „Fiechtners melancholisch luftige Gedichte, in denen er einmal mehr mit unverbrauchten Bildern und Wortarabesken fesselt“, kritisiert aber die „bisweilen didaktisch recht überwürzte Prosa“.[16]

Sein größter kommerzieller Erfolg ist sein erstes Jugendbuch aus dem Jahr 1985, der dokumentarische Roman Annas Geschichte, der auf Dänisch, Katalanisch, Galicisch und Spanisch übersetzt wurde und in vier Hardcover- und 16 Taschenbuch-Auflagen erschien. In den darauf folgenden Veröffentlichungen verschwimmen die Grenzen zwischen den Genres Jugend- und Erwachsenenbuch immer mehr. Mittelpunkt der literarischen Arbeit bleibt das Thema „Menschenrechte“.[17]

Auszeichnungen

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1986, 1999 und 2002 standen Werke Fiechtners auf der Liste ''Empfohlene Bücher'' des Gustav-Heinemann-Friedenspreises für Kinder- und Jugendbücher.[21]

Der Dokumentarfilm Asyl (Kurzfilm 1984) von Friedrich Klütsch, dessen Drehbuch in Zusammenarbeit mit Osvaldo Bayer, Cengiz Doğu und Urs M. Fiechtner entstand, erhielt 1984 einen Kritikerpreis der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen.

Veröffentlichungen (Auswahl)

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Literatur (Auswahl)

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Einzelnachweise

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  1. Carsten Söder: Stilles Agieren. Die Bundesregierung und ihre Botschaft in Chile vor und nach dem Putsch vom 11. September 1973. In: Die Linke Weißenburg in Bayern. 11. September 2013, abgerufen am 30. Juli 2017.
  2. Parteien und Verbände von 1918 bis 1933. Abgerufen am 2. Januar 2019 (deutsch).
  3. Oberkochen – Geschichte, Landschaft, Alltag. Bericht 150: Königlicher Oberförster Carl Weiger 11.5.1943 – 18.12.1911. In: Heimatverein Oberkochen e. V. Abgerufen am 30. Juli 2017.
  4. SPIEGEL ONLINE, Hamburg, Germany: BUNDESPRÄSIDENT / HEINRICH LÜBKE: Wenn das Volk ruft – DER SPIEGEL 21/1964. Abgerufen am 30. Juli 2017.
  5. Urs M. Fiechtner: Ein kleiner Kadett. In: Mit Möwenzungen in der Mehrzweckhalle. Kurzgeschichten. Edition Kettenbruch, Aachen / Stuttgart / Ulm 2015, ISBN 978-3-7375-4350-7, S. 53–80.
  6. Anna-Lena Buchmaier, Jan Dirk Herbermann: Mit Geduld und Briefen. Die Macht der Masse: Wenn viele Menschen gewalttätige Regime nerven. In: Südwest Presse. Ulm 27. Mai 2011.
  7. Hans-Uli Thierer: Dank der Hilfe der Ulmer Amnesty-Gruppe: Argentinische Großmütter bezogen nun ein eigenes Büro. In: Südwest Presse. Ulm 19. Januar 1983.
  8. Behandlungszentrum für Folteropfer Ulm. Abgerufen am 30. Juli 2017.
  9. Stiftung Menschenrechtsbildung – Gegründet vom Bündnis Menschenrechtsbildung e. V. Abgerufen am 30. Juli 2017.
  10. Edition Kettenbruch | Publikationen zu Menschenrechtsthemen. Abgerufen am 30. Juli 2017 (deutsch).
  11. Die Autoren | Amnesty-Ulm. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 30. Juli 2017; abgerufen am 30. Juli 2017.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.amnesty-ulm.de
  12. Hans Steinherr: „Worte genügen nicht.“ Urs M. Fiechtner über Menschenrechte, Freiheit und Bedeutungshuberei. In der Serie „Charakterköpfe“. In: NZW Göppingen. 4. April 2012.
  13. Referenten. In: Stiftung Menschenrechtsbildung. 2017, abgerufen am 3. Oktober 2023.
  14. Südwest Presse Online-Dienste GmbH: Ulm/Neu-Ulm vor 40 Jahren. In: swp.de. (swp.de [abgerufen am 30. Juli 2017]).
  15. Autoren lesen für amnesty international. Ulmer Autorenkollektiv startet Frühjahrstournee. In: Südwest Presse. Ulm 12. Juni 1979.
  16. Susanne Rudolph: Leidenschaftliche Poeten und Mahner. In: Südwest Presse. 9. Juli 2015, S. 28.
  17. Urs M. Fiechtner: (Kein) Selbstportrait. In: Stuttgarter Literaturszene. Ein Beitrag zu „Wort für Wort“. Stuttgart 1994.
  18. Buxtehuder Bulle: Annas Geschichte – Urs M. Fiechtner – Preisträger 1985 | Der Buxtehuder Bulle – Jugendbuchpreis (Youth Book Award). Abgerufen am 30. Juli 2017 (deutsch).
  19. Preisträger – Förderkreis deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg. Abgerufen am 30. Juli 2017.
  20. Das Rote Tuch. 4. Juli 2017, abgerufen am 30. Juli 2017.
  21. Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher. Prämierte und empfohlene Bücher bis 2016. (PDF) In: Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen. Abgerufen am 30. Juli 2017.
Personendaten
NAME Fiechtner, Urs M.
ALTERNATIVNAMEN Fiechtner, Urs Michael (vollständiger Name)
KURZBESCHREIBUNG deutscher Schriftsteller und Menschenrechtsaktivist
GEBURTSDATUM 2. November 1955
GEBURTSORT Bonn