Das Sozialistische Patientenkollektiv wurde am 12. Februar 1970 in Heidelberg von 52 Psychiatrie-Patienten unter Leitung des Assistenzarztes Wolfgang Huber gegründet und löste sich im Juli 1971 auf. Es verstand sich als Therapiegemeinschaft und wollte im Sinne der Antipsychiatrie „aus der Krankheit eine Waffe“ machen, die eine klassenlose Gesellschaft zum Ziel hatte.

Hintergrund und Entwicklung

Die grundlegende These des SPK ging davon aus, dass alle psychiatrischen Erkrankungen durch die Gesellschaft bedingt seien, die in der aktuellen Form als Kapitalismus jedoch selbst nicht gesund sei. Die traditionelle Medizin und die klassische Psychiatrie versuchen demnach, die Patienten wieder „tauglich für die krankmachende Gesellschaft“ zu machen. Im Gegensatz dazu forderte das sozialistische Patientenkollektiv, zuerst müsse die Gesundung der Gesellschaft bewirkt werden, bevor in dieser Gesellschaft selbst eine Gesundung möglich sei. Im Juni 1970 erklärte Huber: „Es darf keine therapeutische Tat geben, die nicht zuvor klar und eindeutig als revolutionäre Tat ausgewiesen worden ist“, und folgerte: „Im Sinne der Kranken kann es nur eine zweckmäßige bzw. kausale Bekämpfung ihrer Krankheit geben, nämlich die Abschaffung der krankmachenden privatwirtschaftlich-patriarchalischen Gesellschaft.“

Nach der Gründung im März 1970 wuchs das Kollektiv rasch und hatte nach eigenen Aussagen im Sommer 1970 etwa 150 Mitglieder[1]. Nachdem Huber bereits als Arzt entlassen worden war, zahlte die Universität nach heftigen Diskussionen die Räume der Gruppe und das Gehalt Hubers. Die öffentlichen und juristischen Auseinandersetzungen über den Status der Gruppe an der Universität Heidelberg und ihre Legitimität setzten sich aber fort. In der Auseinandersetzung um das weitere Fortbestehen des SPK wurden von der Universität Heidelberg eine Reihe von Gutachten eingeholt. Zu den Befürwortern des Patientenkollektivs zählten Horst-Eberhard Richter aus Gießen, Peter Brückner aus Hannover und Dieter Spazier, der ehemalige Leiter der Universitätspoliklinik Heidelberg. Als Gegengutachter wurden Walter Ritter von Baeyer als früherer Klinikchef des Arztes Huber, Hans-Joachim Bochnik aus Frankfurt und Helmut Thomä aus Ulm, ein früherer Mitarbeiter von Alexander Mitscherlich an der Psychosomatischen Universitätsklinik in Heidelberg, bestellt.[2]

Das SPK radikalisierte sich, als im April 1971 ein Mitglied der Gruppe Suizid beging. Das SPK machte dafür seine Gegner verantwortlich, es besetzte mehrfach Einrichtungen der Universitätsleitung. Im Juni 1971 geriet das SPK in den Verdacht, Aktionen der Baader-Meinhof-Gruppe zu unterstützen. Strafverfolger durchsuchten die Räume und inhaftierten Mitglieder, worauf eine Erklärung erschien: „Wenn wir umzingelt sind, entweichen wir.“ Im Juli wurden gefälschte Papiere, Waffen und Sprengstoff gefunden; die Ermittler machten einen „inneren Kern“ aus, den sie als kriminelle Vereinigung betrachteten. Im November 1972 kam es nach einem Schusswechsel mit der Polizei zu Prozessen gegen SPK-Mitglieder, u. a. verlor Huber seine Zulassung als Arzt, und er und seine Frau wurden wegen „Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Sprengstoffherstellung und Urkundenfälschung“ zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.[3]

Im Juli 1971 löste das SPK sich auf (Eigendarstellung: „strategischer Rückzug“). Huber rief 1973, noch aus dem Gefängnis heraus, zur Neugründung als Patientenfront auf.[4]

Einige Mitglieder des SPK wechselten in dieser Zeit zur RAF, darunter Klaus Jünschke, Margrit Schiller, Lutz Taufer, Bernhard Rössner, Hanna Krabbe und Siegfried Hausner, mutmaßlich Elisabeth von Dyck, Baptist Ralf Friedrich, Sieglinde Hofmann und mutmaßlich Friederike Krabbe. Bei der Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Stockholm 1975 waren Taufer, Rössner, Hanna Krabbe und Hausner beteiligt, an der Anschlagserie vom Herbst 1977 von Dyck, Friedrich, Hofmann, eventuell Friederike Krabbe.

Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre verfasste 1972 ein solidarisches Vorwort zu SPK - Aus der Krankheit eine Waffe machen.[5]

SPK/PF(H)

Ab 1985 traten Personen aus Hubers Umfeld als „Krankheit im Recht" auf.[4] Bis heute wird unter der Bezeichnung Patientenfront/Sozialistisches Patientenkollektiv(H) - SPK/PF(H) eine Webseite[6] und der Versand von Dokumenten und Büchern des SPK betrieben. Die anonymen Betreiber der „Pathopraktik mit Juristen“ (Impressum) bezeichnen sich als identisch mit dem SPK, das niemals aufgehört habe zu existieren. Sie versuchen, mit Beschimpfungen und Drohungen gegen Darstellungen der Geschichte des SPK vorzugehen, die nicht ihrem Selbstbild entsprechen. Nach diesem habe und hatte das SPK nichts mit der RAF, nichts mit der 68er-Bewegung und nichts mit der Antipsychiatrie zu tun.[7]

Dokumentarfilm

Durch Interviews mit Involvierten sowie Materialien aus Archiven beleuchtet der Regisseur Gerd Kroske in seinem Dokumentarfilm „SPK Komplex“ das Thema. Der Film wurde auf der Berlinale 2018 in der Reihe Forum uraufgeführt.[8][9][10]

Kritik am Film äußerten u. a. Mario Damolin, Ralf Forsbach, Helmut Kretz und Christian Pross.

Literatur zum SPK (Auswahl)

Zeitgenössische Darstellungen
Forschungsliteratur

Einzelnachweise

  1. H. Häfner. Das Sozialistische Patientenkollektiv an der Universität Heidelberg 1970-1971. In: Nervenheilkunde 12/2018; 37: 901–909
  2. Basisgruppe Medizin Gießen und Fachschaft Medizin Gießen (Hrsg.): Dokumentation zum Sozialistischen Patientenkollektiv Heidelberg. Gießen 1971
  3. Sozialistisches Patientenkollektiv (SPK). In: Lexikon der Politischen Strafprozesse. Abgerufen am 25. Juli 2022 (deutsch).
  4. a b „Aus der Krankheit eine Waffe machen!“ Wo aus Psychiatrie-Patienten Revolutionäre werden sollten – das Sozialistische Patientenkollektiv SPK (1970/71). Unsignierter Artikel aus der Heidelberger Studentenzeitung Ruprecht Nr. 35, 16. Mai 1995 (hier auf der Webseite der Fachschaft Math/Phys, zuletzt abgerufen 2. September 2018)
  5. SPK - aus der Krankheit eine Waffe machen, Universitätsbibliothek Heidelberg, abgerufen am 8. Dezember 2023
  6. http://www.spkpfh.de/
  7. Ralf Forsbach: Die 68er und die Medizin. Gesundheitspolitik und Patientenverhalten in der Bundesrepublik Deutschland (1960–2010), V&R unipress, Göttingen 2011 (= Medizin und Kulturwissenschaft. Bonner Beiträge zur Geschichte, Anthropologie und Ethik der Medizin, Bd. 5), ISBN 9783899717600. S. 100, online
  8. Berlinale 2018 Programm - SPK Komplex. Abgerufen am 11. Februar 2018.
  9. Gerd Kroske über seinen Dokumentarfilm „SPK Komplex.“ Deutschlandfunk 14. April 2018. Abgerufen am 5. Dezember 2018
  10. Christiane Peitz. Aus der Krankheit eine Waffe machen. In: Der Tagesspiegel, 20. April 2018. Abgerufen am 5. Dezember 2018
  11. Mario Damolin. Der Dokumentarfilmer als Märchenonkel. In: Kontext: Wochenzeitung, Ausgabe 368 (18. April 2018) (Digitalisat)
  12. In: Psychiatrische Praxis 2019; 46: 106–109.
  13. In: Psychiatrische Praxis 2019; 46: 106–109.
  14. Christian Pross. Vertane Chance zur Aufklärung eines dramatischen Kapitels der Psychiatriegeschichte. Der Dokumentarfilm „SPK-Komplex“. In: Nervenheilkunde 2018; 37: 826–831 (pdf)