Rudolph Bauer (* 28. April 1939 in Amberg, Oberpfalz) ist ein deutscher Sozialwissenschaftler, Publizist und Bildender Künstler. Von 1972 bis 2002 war er Professor für Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt Wohlfahrtspolitik und Soziale Dienstleistungen an der Universität Bremen.
Nach dem Abitur 1959 am Humanistischen Gymnasium in Amberg studierte Bauer – mit Unterbrechungen, unter anderen durch ein Volontariat bei der Amberger und der Sulzbach-Rosenberger Zeitung – an den Universitäten in München, Erlangen, Frankfurt am Main und Konstanz. Neben Germanistik (bei Hans Schwerte in Erlangen) belegte er Soziologie (bei Georg Weippert, Erlangen, sowie bei Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas und Claus Offe in Frankfurt am Main), Philosophie (bei Wilhelm Kamlah, Paul Lorenzen, Kuno Lorenz und Jürgen Mittelstraß) sowie Politikwissenschaft. Im letztgenannten Fach wurde er 1967 bei Waldemar Besson und Wolf-Dieter Narr mit einer Arbeit über den Kulturpolitischen Ausschuss des Deutschen Bundestages in den Jahren 1949 bis 1965 promoviert.
Als Student war er Mitglied im Bundesverband Deutsch-Israelischer Studiengruppen (BDIS) und kurzzeitig dessen Vorsitzender, arbeitete als Redakteur der Frankfurter Studentenzeitung Diskus und engagiert sich beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) in Frankfurt am Main und Konstanz. Von April 1969 bis April 1970 war er Mitglied der Basisgruppe „März“ und einer der Verantwortlichen der Sozialistischen Correspondenz - INFO (SC-Info).
Stationen seiner beruflichen Laufbahn waren die Studiengruppe für Systemforschung in Heidelberg und Bonn, das Paritätische Bildungswerk in Frankfurt am Main, ein Forschungsauftrag der Stadt Offenbach am Main zur Erstellung eines Sozialen Entwicklungsplans für den Stadtteil Marioth (heute Lohwald). 1970 wurde er als Vertretungsprofessor auf den Gießener Lehrstuhl des Interessenverbände-Forschers Heinz Josef Varain (1925–2011) berufen.
1972 wurde er an die neu gegründete „Reformuniversität“ Bremen berufen. In den Anfangsjahren beteiligte er sich bei der Konzipierung des (in dieser Form neuen) Studiengangs Sozialpädagogik. Ferner war er in einer Reihe fächerübergreifender sozialwissenschaftlicher Projekte aktiv. Hochschulpolitisch wirkte er in der Gründungszeit in zentralen Gremien der Universität mit (so im Konvent und im Akademischen Senat). In Bremen war er Mitgründer der Ortsgruppe der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft (GDCF), in deren Bundesvorstand er gewählt wurde. 1979/80 war er beurlaubt und arbeitete als ausländischer Experte bei der Vorbereitung des Deutsch-Chinesischen Lexikons am Fremdsprachen-Institut Nr. 1 in Peking (heute Fremdsprachenuniversität Peking). 1983 veröffentlichte er den Karikaturenband China lacht.
In den 1980er und 1990er Jahren war Bauer während mehrerer Wahlperioden Fachbereichssprecher (Dekan). Zusammen mit Jürgen Blandow und Manfred Max Wambach gründete er das 'Institut für Lokale Sozialpolitik und Nonprofit-Organisationen', dessen Sprecher (Direktor) er war.
1991 war er parteiloser Spitzenkandidat der Partei Die Grauen für die Wahlen zur Bremer Bürgerschaft, die jedoch mit 1,7 % an der 5-%-Hürde scheiterte.
In seiner Tätigkeit als Lehrender und Forscher positionierte sich Bauer in drei Themengebieten: Erstens auf dem Feld der Soziologie gesellschaftlicher Minderheiten und der Methoden der so genannten „Randgruppenarbeit“; zweitens in der Analyse von historischen, aktuellen und vergleichenden Fragen der Sozial- und Wohlfahrtspolitik im lokalen, gesamtstaatlichen und europäischen Kontext und drittens auf dem Gebiet der Analyse Sozialer Bewegungen beziehungsweise ihrer Institutionalisierung in Form von intermediären Organisationen. Hierbei galt sein Interesse vor allem den Wohlfahrtsverbänden und in allgemeiner Hinsicht dem „Dritten Sektor“ sowie unterschiedlichen Handlungsansätzen im Bereich der Selbstorganisation.
Im Rahmen seiner Arbeit zu gesellschaftlichen Randgruppen und den Fragen der darauf gerichteten Politik und Hilfemaßnahmen thematisierte er die Situation von Wohnungs- und Obdachlosen, worüber er 1987 zusammen mit einer Autorengruppe eine Denkschrift und Materialien zum UNO-Jahr für Menschen in Wohnungsnot veröffentlichte, von Sinti und Roma, von Heimzöglingen[1] sowie von Behinderten, alten Menschen, Migranten, Strafgefangenen und -entlassenen.
Im Bereich der Freien Wohlfahrtspflege veröffentlichte er 1978 die erste Monografie über Wohlfahrtsverbände in der Bundesrepublik. Zur Thematisierung dieses speziellen Forschungsfeldes an der Schnittstelle von Soziologie, Politikwissenschaft und Sozialarbeit sowie Sozialpädagogik trug er als Organisator von wissenschaftlichen Tagungen bei sowie als Autor und Herausgeber von Aufsatzsammlungen.[2] 1990 wurde er als deutsches Mitglied in das Editorial Board von Voluntas: International Journal of Voluntary and Non-Profit Organisations berufen.[3]
Seit dem 23. Deutschen Soziologentag 1986 in Hamburg war Bauer Initiator der Ad-hoc-Gruppe Soziologie der Wohlfahrtsverbände.[4] 1989 erfolgte die Berufung als Senior Fellow in Philanthropy an das Institute for Policy Studies.[5]
Bauers Verständnis der Wohlfahrts- und Sozialpolitik ist nicht eingeschränkt auf die klassische Soziale Sicherungs- und Sozialhilfepolitik, sondern umfasst ebenso die Gesundheits-, die (Aus-)Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Strafrechts-, Familien- und Wohnungspolitik. Auf diesen Gebieten galt sein Erkenntnisinteresse vor allem der lokalen Ebene (Kommune, Gemeinde) sowie Fragen der Gemeinwesenarbeit und des Community Organizing. Ein Teil seiner zum Thema Lokale Sozialpolitik veröffentlichten Beiträge verdankt sich der Kooperation mit Rolf-Richard Grauhan.[6]
Anfang der 1990er Jahre gab Bauer ein dreibändiges Lexikon des Sozial- und Gesundheitswesens (München und Wien 1992) heraus. Das Handwörterbuch umfasst fachterminologische Erläuterungen, Kurzbiografien bedeutender Persönlichkeiten und Angaben über Organisationen und Institutionen, all dies mit aktuellem Bezug und die jeweiligen geschichtlichen Hintergründe mit einbeziehend.
Gemeinsam mit Hans Pfaffenberger (Trier) und Franz Hamburger (Mainz) fungierte Bauer als Herausgeber der Reihe Sozialpädagogik / Sozialarbeit im Sozialstaat.[7] Der in Zusammenarbeit mit Sigrid Betzelt verfasste Forschungsbericht Nonprofit-Organisationen als Arbeitgeber (2000) und die Monographie Personenbezogene Soziale Dienstleistungen (2001) sind Beispiele für seine interdisziplinäre Sichtweise. Seit 2006 befasst er sich in einer Reihe von Aufsatz-Veröffentlichungen mit dem Medienkonzern Bertelsmann AG und der Bertelsmann Stiftung.[8] Seit 2014 publiziert er vor allem zu Fragen der Militarisierung sowie der Antikriegs- und Friedensbewegung. Seine jüngsten Veröffentlichungen befassen sich mit der Geschichte und Kultur Chinas sowie mit interdisziplinären Fragestellungen der Politik, Ökonomie und Soziologie im Zeichen der Corona-Pandemie, ihrer Entstehung und Folgen.
Anlässlich seines 75. Geburtstages wurde Rudolph Bauer eine Festschrift[9] überreicht und eine Bestandsaufnahme zur Sozialen Dienstleistungspolitik[10] gewidmet.
Seit April 2023 wird Bauer als Mitherausgeber der verschwörungsideologischen Publikation „Demokratischer Widerstand“ geführt, die Pandemie-Leugnern eine Plattform bietet und in deren Artikeln von einer „Corona-Diktatur“ die Rede ist.[11]
In einer 2013 in der Jungen Welt[12] veröffentlichten Rezension des Buches Wer rettet Israel – ein Staat am Scheideweg von Arn Strohmeyer schrieb Bauer über den Nahostkonflikt u. a. von einer „kolonialistische[n] und nationalistische[n] Landnahme“ Israels und „Einsperrung, Vertreibung und Tötungen aller Art“. Er verglich die besondere Verantwortung deutscher Politik für Israels Sicherheit, die, so Bauer, „allein auf Gewalt, Töten und Waffen“ beruhe, in einer rhetorischen Frage mit den „Wannsee-Beschlüssen“, die „erst jetzt vollständig grausame Wirklichkeit“ würden, und beschrieb „Herrenmenschenzüge“ beim „militante[n] Judaismus der zionistischen Bewegung“. Der Antisemitismusforscher Samuel Salzborn warf Bauer daraufhin vor, dass in seinen Einlassungen „eindeutig ein antisemitisches Ressentiment“ stecke.[13]