H. L. A. Hart

H. L. A. Hart (Herbert Lionel Adolphus Hart; * 18. Juli 1907 in Harrogate, England; † 19. Dezember 1992 in Oxford, England) war ein britischer Rechtsphilosoph, der von 1952 bis 1968 als Professor für Allgemeine Rechtslehre (Jurisprudence) an der Universität Oxford lehrte. Er gilt neben Hans Kelsen als der einflussreichste Vertreter des Rechtspositivismus.

Leben

Grab von H. L. A. Hart auf dem Wolvercote-Friedhof, Oxford (2017)

H. L. A. Hart war der Sohn eines wohlhabenden jüdischen Schneiders deutscher und polnischer Abstammung. Seine Schul- und Studienzeit verbrachte er am Cheltenham College, an der Bradford Grammar School und am New College, Oxford. Er studierte Geschichtswissenschaft und Philosophie.

Es war zu dieser Zeit in Großbritannien nicht ungewöhnlich, ohne eine universitäre juristische Ausbildung in der Justiz zu arbeiten.[1] Nach Beendigung seines Studiums war es Hart deshalb möglich, von 1932 bis 1940 als Rechtsanwalt in London zu praktizieren. Für den Kriegsdienst „untauglich“, arbeitete er anschließend während des Zweiten Weltkriegs für den britischen Geheimdienst MI5.

Nach dem Kriegsende kehrte er der rechtsanwaltlichen Tätigkeit den Rücken, um stattdessen von 1946 bis 1953 einen Lehrauftrag für Philosophie am New College in Oxford anzunehmen, wo er sich einer informellen Arbeitsgruppe um J. L. Austin anschloss.[1]

1953 wurde Hart in Oxford als Professor auf den Lehrstuhl für allgemeine Rechtslehre (Jurisprudence) berufen. Das akademische Jahr 1956/1957 verbrachte er in Harvard. In dieser Zeit entstand die erste wesentliche Vorarbeit zu seinem 1961 veröffentlichten Hauptwerk The concept of law, nämlich der Aufsatz Positivism and the separation of law and morals, der 1958 in der Harvard Law Review veröffentlicht wurde[2][3] und der zusammen mit der Erwiderung von Lon L. Fuller im selben Heft[4] die sogenannte Hart-Fuller debate zwischen Rechtspositivisten und Naturrechtlern auslöste.[5] Eine weitere Vorarbeit war Harts Antrittsvorlesung in Oxford gewesen. Der Aufsatz Definition and Theory in Jurisprudence über die Bedeutung der Sprachphilosophie für die Rechtswissenschaft erschien zuerst im Jahr 1954 in der Law Quarterly Review und bot ebenfalls Anlass zu lebhaften Auseinandersetzungen.[6][7]

Von 1959 bis 1960 war Hart Präsident der Aristotelian Society. Seit 1962 war er Mitglied (Fellow) der British Academy.[8] 1966 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt,

1969 wurde Hart emeritiert. Zu seinem Nachfolger auf den vakant gewordenen Lehrstuhl wurde sein Schüler Ronald Dworkin berufen.

1973–1978 war H. L. A. Hart Präsident des Brasenose College, Oxford.

Wirken

Harts rechtsphilosophischer Ansatz im Allgemeinen

Bemüht um eine zeitgemäße Neufassung der Rechtstheorien Jeremy Benthams und John Austins, wandte Hart die Instrumentarien der modernen analytischen Philosophie – insbesondere der analytischen Sprachphilosophie – auf Probleme des Rechts an. Beeinflusst wurde er bei diesen Bemühungen vor allem durch Ideen John Austins und Ludwig Wittgensteins.

Auch die Reine Rechtslehre Hans Kelsens übte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Hart aus. Er kritisierte jedoch zwei entscheidende Aspekte der Rechtstheorie Kelsens: Die Vorstellung, dass der Begriff des Rechts notwendig mit Sanktionen verknüpft sei (1) und die neukantianische These Kelsens, dass Normen nicht adäquat aus Tatsachen, sondern nur aus anderen Normen abgeleitet werden könnten (2). Indem er der „Reinen Rechtslehre“ zusätzlich ihre „Reinheit“ – das für Kelsen selbst (nicht nur dem Namen nach) entscheidende Element seiner Rechtstheorie – absprach, distanzierte Hart sich endgültig von dessen Lehre. In der Folge kam es zwischen Kelsen und Hart zu nicht nur rein fachlichen Animositäten.

Es wird als besonderes Verdienst Harts angesehen, die angelsächsische Rechtswissenschaft „auf Augenhöhe“ mit der zeitgenössischen Philosophie gebracht zu haben. Seine kritischen Schriften zum Verhältnis von Recht und Moral beeinflussten die Gesetzgebung in Großbritannien und sorgten unter anderem dafür, die gesetzliche Diskriminierung der Homosexuellen in Großbritannien zu beenden.

Harts Hauptwerk: „The Concept of Law“

H. L. A. Harts bedeutendstes Werk ist The Concept of Law (Titel der deutschen Übersetzung: Der Begriff des Rechts), das 1961 in erster Auflage erschien. Eine zweite Auflage – erweitert um ein von Hart verfertigtes „postscript“ (eine Entgegnung auf Kritiker) – wurde posthum 1994 herausgegeben. Hart, dessen Lehre von der analytischen Philosophie beeinflusst wurde, entwickelte eine moderne Fassung der von Jeremy Bentham und John Austin begründeten angelsächsischen Variante des Rechtspositivismus, der sogenannten Analytical Jurisprudence. Darüber hinaus beschäftigte er sich mit allgemeiner politischer Philosophie.

Wichtige Thesen und Konzepte des Buches sind:

Rezeption

Ein nicht unbeträchtlicher Teil der zurzeit bekannteren Rechtsphilosophen rekrutierten sich aus dem Kreise Harts ehemaliger Studenten. Nur beispielhaft seien hier John Finnis, Joseph Raz und sein Nachfolger in Oxford Ronald Dworkin aufgeführt, der Harts rechtpositivistische Position als unhaltbar kritisierte und das Konzept eines postkonventionellen Rechtssystems entwickelte.[9] Hart beeinflusste außerdem den jungen John Rawls, der in den 1950er-Jahren kurz nach seiner Promotion als Gastdozent in Oxford tätig war.

Schriften (Auswahl)

Literatur

Einzelnachweise

  1. a b Juan Ramon de Páramo: Harts ‚Concept of Law‘ nach dreißig Jahren. Ein Interview mit dem Autor. In: Rechtstheorie. Band 22, Nr. 4, 1991, S. 393–414, 393 f. (spanisch: Entrevista a H.L.A. Hart. Alicante 1988. Übersetzt von Ruth Zimmerling, in Doxa. Cuadernos de Filosofía del Derecho. Núm. 5, 1988, Biblioteca Virtual Miguel de Cervantes, online).
  2. H. L. A. Hart: Positivism and the Separation of Law and Morals. In: Harvard Law Review. Band 71, Nr. 4, 1958, ISSN 0017-811X, S. 593–629, doi:10.2307/1338225, JSTOR:1338225.
  3. Deutsche Übersetzung in: H. L. A. Hart: Recht und Moral. Drei Aufsätze. Hrsg.: Norbert Hoerster. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1971, ISBN 3-525-33311-0, S. 14–57, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00048107-7 (englisch, Oliver Wendell Holmes Lecture, 1957).
  4. Lon L. Fuller: Positivism and Fidelity to Law: A Reply to Professor Hart. In: Harvard Law Review. Band 71, Nr. 4, 1958, ISSN 0017-811X, S. 630–672, doi:10.2307/1338226, JSTOR:1338226 (englisch).
  5. Nicola Lacey: Out of the Witches’ Cauldron? Reinterpreting the Context and Re-Assessing the Significance of the Hart-Fuller Debate. In: Peter Cane (Hrsg.): The Hart-Fuller debate: 50 years on. Hart, Oxford 2010, doi:10.2139/ssrn.2126511 (englisch, hier: Preprint, Oxford Legal Studies Research Paper No. 51).
  6. H. L. A. Hart: Definition and Theory in Jurisprudence. In: Essays in Jurisprudence and Philosophy. Oxford University Press, Oxford 1983, ISBN 978-0-19-825388-4, doi:10.1093/acprof:oso/9780198253884.003.0002 (oxfordscholarship.com [abgerufen am 16. Mai 2019] zuerst in: 70 Law Quarterly Review 37 (1954)).
  7. Jonathan Cohen, H. L. A. Hart: Symposium: Theory and Definition in Jurisprudence. In: Proceedings of the Aristotelian Society, Supplementary Volumes. Band 29, 1955, ISSN 0309-7013, S. 213–264, JSTOR:4106640.
  8. Deceased Fellows. British Academy, abgerufen am 7. Juni 2020.
  9. Ronald Dworkin: Law's Empire. Harvard UP, Cambridge Mass. 1986.