Claudin de Sermisy (* um 1490 in Frankreich; † 13. Oktober 1562 in Paris) war ein französischer Komponist, Sänger und Kleriker der Renaissance.[1][2][3]

Leben und Wirken

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sowohl biografische Informationen aus Pfründen-Aufzeichnungen als auch heutige örtliche Namensgebungen, nach denen „Sermisy“ eine ältere Namensform ist, legen nahe, dass der Name des Komponisten aus einer Gegend um Noyon in der Picardie stammt, obwohl auch die Ile-de-France wie auch Burgund als mögliche Regionen seiner Herkunft vorgeschlagen wurden. Über die frühen Jahre von Claudin de Sermisy sind keine Informationen überliefert. Er ist erstmals am 19. Juli 1508 als Sänger an der Sainte-Chapelle in Paris dokumentarisch nachweisbar; an diesem Tag wurde er als Sänger an die Chapelle Royale von König Ludwig XII. berufen. Er verließ offensichtlich seine bisherige Stellung im Spätherbst 1508, als König Ludwig, Königin Anne de Bretagne und der Herzog von Bourbon dort die besten Sänger für ihr privates Gefolge abzogen. Nach päpstlichen Dokumenten vom 4. Februar und 8. Juni 1510 wirkte Sermisy als Geistlicher in der Diözese Noyon und als Sänger in der Privatkapelle von Königin Anne; im gleichen Jahr wird er als Prior an St. Jean in Bouguenais (Diözese Nantes) erwähnt. Nachdem Anne im Januar 1514 verstorben war, löste sich ihre Kapelle auf und die Sänger wechselten zur Kapelle von König Ludwig, wodurch sich deren Mitgliederzahl mehr als verdoppelte. Als Ludwig dann ein Jahr später (Januar 1515) ebenfalls starb, wirkte Sermisy als einer der 23 Sänger bei seiner Beisetzung mit. Danach ging die Kapelle zusammen mit dem Komponisten auf den Nachfolger König Franz I. über. Hier begleitete er mit ziemlicher Sicherheit seinen Dienstherrn im Sommer 1515 nach Italien und sang bei dem Treffen von König Franz mit Papst Leo X. vom 11. bis 15. Dezember 1515 in Bologna mit der königlichen Kapelle in der Messe.

Das Ergebnis des Treffens war das Konkordat von Bologna zwischen dem Vatikan und Frankreich. Papst Leo bewies seine Großzügigkeit, indem er mehrere Mitglieder der Begleitung des Königs belohnte, so beispielsweise am 17. Dezember den königlichen Kapellmeister Antoine du Longueval († 1525) und den Hauptkomponisten Jean Mouton. Am folgenden 30. Januar 1516 gewährte er eine Zuwendung an „Claudio de Sermysy canonico Noviomensis“ und vier weitere königliche Sänger, unter ihnen auch den Komponisten Jean Richafort, die es diesen erlaubte, eine besondere Pfründe zu übernehmen. Am 31. März des gleichen Jahres verlieh der Papst die Priorwürde an den königlichen Sänger und Organisten Pierre Mouton. In einer Liste von 34 königlichen Kapellsängern, die vom 1. Oktober 1517 bis 30. September 1518 angestellt waren, folgt Sermisys Name unmittelbar nach dem von Jean Mouton. Wahrscheinlich hat er auch an den festlichen Messen mitgewirkt, die anlässlich des Treffens von König Franz mit dem englischen König Heinrich VIII. auf dem „Feld des goldenen Kleids“ vom 7. bis 10. Juli 1520 und zwölf Jahre später in Boulogne zwischen dem 21. und 29. Oktober 1532 aufgeführt wurden. Bei letzterem Treffen sang die französische königliche Kapelle offenbar auch Sermisys feierliche Motette „Da pacem domine“. Zuvor, im Jahr 1524, tauschte er das Kanonikat von Notre-Dame-de-la-Ronde in Rouen gegen ein Kaplansamt in der Kirche von Camberon in der Nähe von Abbeville. Um 1525/26 war Sermisy möglicherweise der Nachfolger von Antoine du Longueval als Chormeister (maître et recteur) geworden.

Im Jahr 1533 wird der Komponist als sous-maître über alle Musiker der königlichen Kapelle geführt; die administrative Leitung hatte Kardinal François de Tournon, ein enger Vertrauter des Königs, außerdem Diplomat, Humanist und Verfasser eines Textes, den Sermisy vertont hat. Als sous-maître leitete er die Aufführungen der etwa 40 erwachsenen Sänger und sechs Chorknaben, welche die königliche Kapelle während der 1530er und 1540er Jahre besaß; darüber hinaus war er für das Wohl der Knaben verantwortlich und hatte die Aufsicht über die liturgischen und musikalischen Bücher der Kapelle. 1533 unterhielt er ein Kanonikat an der Sainte-Chapelle. In der Position des maître verdiente Sermisy an Gehalt und Naturalien im Jahr 1533 400 livres, von 1543 bis 1545 600 livres und jährlich 700 livres ab 1547. Er hatte dieses Amt bis etwa 1553 inne und teilte sich den Titel und die Aufgaben 1543–1547 mit Louis Hérault de Servissas, kurze Zeit mit Guillaume Belin und 1547–1553 mit Hilaire Rousseau. Sermisy hat im Laufe seines Lebens zusätzlich zu seinen Einkünften als Kapellmeister eine Reihe von Pfründen an verschiedenen Kirchen des Landes angesammelt. Er war vielleicht auch an der Publikation „Liber decimus quartus XIX musicas cantiones continet“ (erschienen Paris 1539) des Komponisten Pierre de Manchicourt (um 1510 – 1562) beteiligt; als Widmungsschreiben ist dort eine poetische Epistel mit einem Lobpreis abgedruckt, den Sermisys Neffe, Priester und Kanoniker in Vivier-en-Brie und Priester an St. Samson in der Diözese Le Mans, unterzeichnet hat. Sermisy starb am 13. Oktober 1562; er wurde in der unteren Kapelle der Sainte-Chapelle beigesetzt.

Bedeutung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Claudin de Sermisy hinterließ ein umfangreiches kirchenmusikalisches Schaffen; dennoch nimmt er in erster Linie wegen seiner 160 Chansons einen festen Platz in der Musikgeschichte ein. Er begründete zusammen mit Clément Janequin (um 1485 – 1558) diese neue Gattung vierstimmiger Vokalmusik, wobei seine Chansons größtenteils in den Jahren 1528 bis 1533 in Anthologien von Pierre Attaignant in Paris erschienen sind und deshalb im Allgemeinen als „Pariser Chansons“ bezeichnet werden. Seine Vertonungen sind vielleicht von der italienischen Frottola beeinflusst, mit Sicherheit aber von den Vertonungen populärer Lieder der Komponisten Jean Mouton, Antoine de Févin und Johannes Ninot le Petit, und orientieren sich im Gefühlsausdruck schmachtender höfischer Liebe noch sehr stark an dem Musikstil der vorangegangenen Generation (Josquin Desprez, Pierre de La Rue und anderen). Die Chansons von Claudin de Sermisy zeichnen sich durch Kürze in der Form, Vierstimmigkeit und ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen oberstimmenbetonten, homorhythmischen Abschnitten und imitatorisch aufgelockerten Teilen aus, darüber hinaus auch durch einen mehr den Text hervorhebenden als einen tonmalerischen Textausdruck. Sie waren zu ihrer Zeit überaus populär und zwischen 1530 und 1580 in zahllosen Nachdrucken nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland, Italien und den Niederlanden verbreitet. Außerdem wurden besonders von seinen frühen Chansons zahlreiche Bearbeitungen gefertigt, so für Solostimme und Laute (erschienen bei Attaignant 1529), aber auch für Zither, Viola, Orgel, Clavichord und Spinett, zum Teil als Tanzsätze. Arrangements für Tasteninstrumente befinden sich z. B. in der sogenannten Mulliner-Handschrift. Sermisys Chansons und Motetten dienten auch als Vorlage für Messen (Parodiemesse), Magnificats, Psalmen, Noels und spirituelle Chansons anderer Komponisten, beispielsweise von Dominique Phinot (um 1510 – 1555) und Orlando di Lasso. Die Melodie der Chanson „Il me suffit“ (1529) ist zur Melodie des evangelischen Kirchenlieds „Was mein Gott will, gescheh allzeit“ (EG 364) geworden.

Sermisys geistliches Werk besteht aus 13 Messen, 9 Magnificats, 90 Motetten, einer Passion und mehreren anderen liturgischen Kompositionen. Seine Messen sind durchgängig vierstimmig, wobei der Schlussabschnitt von fünf dieser Messen (Agnus Dei III) durch eine fünfte Stimme erweitert wird, wie es schon bei Josquin, Mouton und deren Nachfolgern üblich war. Lediglich die Messe „Quare fremuerunt“ ist von Anfang an fünfstimmig und endet mit acht Stimmen. Besondere Erwähnung verdienen Sermisys Passion und die Lamentationen, weil sie zu den ganz wenigen Werken dieser Art zu jener Zeit in Frankreich gehören. Die Passion beruht auf dem Text des Matthäus-Evangeliums und ist dramatisch gestaltet; die erzählenden Passagen und die Christus-Worte sind als Choräle gehalten, während die übrigen Hauptfiguren und die Einwürfe der Volksmassen („Turbae“) für zwei- bis vierstimmigen Chor in polyphoner Form erscheinen. In der gleichen Methode des Abwechselns, ähnlich wie die Unterteilung in Solisten und Chor bei einer Hofkapelle, sind auch die Klagegesänge Jeremias (Lamentationen) gesetzt, ebenso die Reihe seiner acht Magnificat-Vertonungen auf die acht Kirchentonarten. Die Motetten von Sermisy hatten in einigen Fällen politische Bedeutung oder waren Gelegenheitswerke; ihre Textgrundlage waren meistens Psalmen, Antiphonen, Responsorien und Centos. Sie sind weit überwiegend vierstimmig, ausgenommen zehn dreistimmige Stücke und eine achtstimmige doppelchörige Motette. Sein Requiem basiert auf dem traditionellen Text und einem Cantus firmus, der überwiegend in der Tenorstimme liegt; es erschien in Attaignants Messendruck von 1532, ging dort den Werken von Johannes Prioris und Jean Richafort voraus und könnte zum Tod der Königinmutter Louise von Savoyen (1531) komponiert worden sein.

Zu seinen Lebzeiten wurde Sermisy in ganz Europa bewundert. Seine hohe Reputation wurde auch von zahlreichen Dichtern und Musikern bestätigt. Der Komponist Pierre Certon (um 1510 – 1572), ein Kollege Sermisys an der Sainte-Chapelle, widmete ihm 1542 sein Motettenbuch und schrieb auf Sermisys Tod die sechsstimmige Déploration „Musiciens, chantres melodieux“, in dem er ihn einen „grand maistre, expert et magnifique compositeur [...] le thrésor de la musique“ nennt. Der Publizist Maximilian Guillaud wandte sich im September 1552 in seinen „Rudiments de musique practique“ (erschienen Paris 1554) an den „excellent musicien monsieur maistre Claude de Sermisy“, und der bekannte Dichter François Rabelais setzte Sermisy in seinem Prolog zu den späteren Ausgaben seines „Quart livre“ (Lyon 1552) nach Adrian Willaert, Nicolas Gombert, Jacobus Arcadelt und Clément Janequin in den jüngeren Chor, indem er ihn den frechen Vierzeiler „S’il est ainsi que coignée sans marche“ singen lässt.

Werke (Vokalmusik)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Quellen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), Personenteil Band 15, Bärenreiter und Metzler, Kassel und Basel 2006, ISBN 3-7618-1135-7
  2. Marc Honegger, Günther Massenkeil (Hrsg.): Das große Lexikon der Musik. Band 7: Randhartinger – Stewart. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 1982, ISBN 3-451-18057-X.
  3. The New Grove Dictionary of Music and Musicians, herausgegeben von Stanley Sadie, 2nd Edition, McMillan, London 2001, ISBN 0-333-60800-3
Personendaten
NAME Sermisy, Claudin de
ALTERNATIVNAMEN Cermisy, Claude de; Sermizy, Claudin de; Sernisy, Claudin de
KURZBESCHREIBUNG französischer Komponist, Sänger, Kapellmeister und Geistlicher der Renaissance
GEBURTSDATUM um 1490
GEBURTSORT Frankreich
STERBEDATUM 13. Oktober 1562
STERBEORT Paris