Albrecht von Graefe

Friedrich Wilhelm Ernst Albrecht von Graefe (* 22. Mai 1828 in Berlin; † 20. Juli 1870 ebenda) war ein deutscher Augenarzt, königlich preußischer Geheimer Medizinalrat und ordentlicher Professor der von ihm reformierten Augenheilkunde an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Er begründete in Deutschland die Augenheilkunde oder Ophthalmologie, die bis dahin zur Chirurgie gehörte, als selbstständiges Fach.

Herkunft

Wappen der Familie Graefe (1826)

Albrecht von Graefe entstammt einer sächsischen Familie und war der Sohn des königlich preußischen Geheimen Medizinalrats und Generalstabsarztes der Armee Carl Ferdinand von Graefe (1787–1840), ordentlicher Professor der Medizin und Chirurgie sowie Gründungsdirektor der Chirurgischen Klinik der Universität Berlin, und dessen Frau Auguste von Alten (1797–1857). Vater Carl Ferdinand war erst am 2./14. Februar 1826 in Sankt Petersburg in den polnischen erblichen Adelsstand erhoben worden mit preußischer Adelsanerkennung am 16. November 1826 in Berlin.

Albrecht von Graefe war ein Patenkind des preußischen Königs Friedrich Willhelm III. Dessen jüngster Sohn, Prinz Albrecht von Preußen, war ein weiterer Pate. Auf ihn nimmt Albrecht von Graefes Vorname Bezug.[1]

Graefes Geburtshaus war die 1824 von Karl Friedrich Schinkel erbaute Villa Finkenherd in Berlin-Tiergarten, die ab 1880 das bekannte Ausflugslokal „Charlottenhof“ beherbergte und 1943 den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer fiel. An seiner Stelle wurde 1970 aus Anlass des hundertsten Todestages Albrecht von Graefes eine Gedenkstele errichtet, auf der zu lesen ist: „Hier stand der Finkenherd, das Geburtshaus Albrecht von Graefes, geb. 22. Mai 1828, gest. 20. Juli 1870“.[2]

Leben

Albrecht von Graefe, 1865
Star-Messer nach Graefe

Albrecht von Graefe besuchte das Französische Gymnasium und studierte ab 1843 Medizin, Mathematik, Physik und Chemie in Berlin. Zu seinen Lehrern gehörten Lukas Schönlein, Emil du Bois-Reymond, Rudolf Virchow und Johann Christian Jüngken.[3] Seine Dissertation mit dem Titel De bromo ejusque praesipuis praeparatis[3] verfasste Graefe 1847 (auf Lateinisch) bei Johannes Müller. Danach war er Assistenzarzt in Prag, wo er begann, sich ganz der Augenheilkunde zu widmen. Als seinen ersten Lehrer auf augenheilkundlichem Gebiet nennt Graefe Ferdinand von Arlt, welchem er in Prag erstmals im Herbst 1848[4] begegnete.

Er lernte weiter in Paris (bei Sichel und Desmarres), Wien (bei Friedrich Jäger von Jaxtthal) und London (bei William Bowman und George Critchett (1817–1882)) und kehrte 1852 nach Berlin zurück, wo er sich im selben Jahr für Chirurgie und Augenheilkunde habilitierte[5] und 1855 eine von ihm angeregte private Augenklinik mit 120 Betten eröffnete, welche die erste zahnärztliche Klinik zu Unterrichtszwecken in Deutschland[6] war und sowohl in der Praxis wie auch in der Forschung alsbald Weltruhm genoss. Bei der Behandlung war Graefe außerordentlich sozial eingestellt, da er keinen Unterschied hinsichtlich der sozialen Schichten machte – nicht zuletzt deshalb nannte ihn sein Schüler Julius Hirschberg in einem Nachruf einen „Apostel der leidenden Menschheit“.

Zwei Jahre später, 1854, gründete er mit dem „Archiv für Ophthalmologie“ die erste augenärztliche Fachzeitschrift. Gemeinsam mit dem österreichischen Ophthalmologen Ferdinand von Arlt und dem niederländischen Physiologen Frans Cornelis Donders fungierte Graefe als Herausgeber. Zudem verfasste er zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze. Er brachte die sich formierende Augenheilkunde mit anderen medizinischen Disziplinen dadurch in Verbindung, dass er die Zusammenhänge zwischen Augenleiden und inneren oder neurologischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Nierenleiden oder Hirntumoren (Stauungspapille) aufdeckte.[3] Eine verbesserte Methode zur Operation des Grauen Stars legte er 1857 vor.[7] Im Jahr 1858 wurde Graefe zum Mitglied der Leopoldina gewählt. Im Jahr 1864 hatte er das nach ihm benannte Graefe-Zeichen (oder Graefesche Zeichen) beim Morbus Basedow beschrieben. 1868 wurde Graefe Direktor der augenärztlichen Abteilung der Charité und war besonders erfolgreich bei der Behandlung des Grünen Stars und des von ihm schon zuvor[8] untersuchten Schielens (Strabismus). Ab 1866 wirkte er zudem als Ordinarius an der Universität Berlin.[9] Im selben Jahr publizierte er eine erste ausführliche Beschreibung der sympathischen Ophthalmie.[10] Die von Graefe entwickelte Operationstechnik, „modifiziert lineare Extraktionsmethode“, des grauen Stars war Grundlage für die Operationsmethoden dieser Erkrankung bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Bis dahin war das von ihm eingeführte schmale Starmesser, „Graefe-Messer“, zur Eröffnung des Auges in Gebrauch. Mehr als 10.000 Augenoperationen soll er durchgeführt haben. Zu seinen bedeutenden Leistung zählt auch die Empfehlung der Iridektomie bei Glaukom. Verschiedene Fachbegriffe tragen den Namen des Mediziners, wie beispielsweise das „Graefe-Syndrom“, der „Graefe-Fleck“ oder der „Graefe-Reflex“. Auch die konsequente Anwendung des von Helmholtz in Königsberg entwickelten Augenspiegels, von dem er im November 1851 vom Königsberger Institutsmechaniker[11] ein Exemplar erbat, geht auf ihn zurück. Damit schuf er die Diagnostik der Augenkrankheiten des Augenhintergrundes (Aderhaut, Netzhaut, Sehnerv) und damit eine genauere Identifizierung der als Amblyopie[12] bezeichneten Augenleiden. 1857 fand der erste Kongress der späteren „Deutschen ophthalmologischen Gesellschaft“ (ab 1920 so benannt) in Heidelberg statt, der von Graefe initiiert wurde.[3]

Als Lehrer Johann Friedrich Horners gab Graefe den Anstoß zur Entwicklung der Ophthalmologie in der Schweiz. Von 1859 bis 1869 kam Graefe regelmäßig im September zur Erholung ins ausserrhodische Heiden und operierte Augenkranke aus aller Welt. Das Hotel Freihof verwandelte sich während seiner Anwesenheit in eine Augenklinik. Graefe trug entscheidend zum Aufschwung Heidens als Kurort bei. Ihm zu Ehren wurde im Waldpark ein Gedenkstein aufgestellt.

Zu Albrecht von Graefes Schülern gehörten unter anderem Karl Schweigger und Theodor Leber, die sich bei ihm habilitierten, sowie von Zehender, Hermann Schmidt-Rimpler, Julius Jacobson, Alfred Graefe (Albrecht von Graefes Cousin), Theodor Saemisch und Wilhelm Manz (1833–1911).[13] Auch der mit ihm eng befreundete Zahn- und Augenarzt Robert von Welz und der Anatom Heinrich Müller zählen zu den von ihm in der Augenheilkunde ausgebildeten Medizinern. Zu Graefes Patienten gehörte unter anderem der Mediziner Carl Friedrich von Marcus.[14]

Albrecht von Graefe starb 1870 im Alter von nur 42 Jahren in Berlin an Lungentuberkulose. Beigesetzt wurde er auf dem Friedhof II der Jerusalems- und Neuen Kirche vor dem Halleschen Tor. Er ruht dort an der Seite seiner Gattin Anna geb. von Knuth. Auch die Gräber seiner Eltern und seines Großvaters mütterlicherseits befinden sich in der Nähe. Als Grabstein dient eine dunkle Stele mit Dreiecksgiebel, die auf einem Granitsockel steht.[15] An der Vorderseite ist ein marmornes Relieftondo eingelassen, welches das Ehepaar Graefe im Profil zeigt, ein Werk des Bildhauers Bernhard Afinger aus dem Jahr 1874.[16] Auf der Rückseite der Grabstele stehen zwei Verse aus der Bibel: „Liebe ist stark wie der Tod“ (Hohes Lied 8, Vers 6) und „Es ist das Licht süße und den Augen lieblich, die Sonne zu sehen“ (Prediger 11, Vers 7).

Inschrift Grabrückseite

Familie

Albrecht von Graefe heiratete am 7. Juni 1862 in der Heilandskirche in Sacrow bei Potsdam Anna Gräfin Knuth (Haus Conradsborg) (* 15. März 1842 in Frederiksborg, Dänemark; † 22. März 1872 in Nizza, Südfrankreich), die Tochter des königlich dänischen Kammerherrn und Amtmanns Graf Hans Schack Knuth und der Frederikke de Løvenørn. Joachim Sigismund Ditlev Knuth war ihr Bruder. Das Paar hatte fünf Kinder, von denen zwei früh starben:

Die Autorin Blida Heynold von Graefe war seine Enkelin.

Ehrungen und Denkmale

Schriften (Auswahl)

Literatur

Einzelnachweise

  1. Blida Heynold von Graefe: Albrecht von Graefe. Mensch und Umwelt. Verlag Karl Thiemig KG, München 1969, S. 20.
  2. Die Albrecht-von-Graefe-Medaille und ihr Hintergrund, Website der Berliner Medizinischen Gesellschaft, abgerufen am 17. Oktober 2016.
  3. a b c d Sabine Fahrenbach: Albrecht von Graefe, in: Wolfgang U. Eckart und Christoph Gradmann (Hrsg.): Ärztelexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart. 3. Auflage. Springer Verlag Heidelberg / Berlin / New York 2006, S. 141–142. Ärztelexikon 2006, doi:10.1007/978-3-540-29585-3.
  4. Frank Krogmann: Ferdinand von Arlt (1812–1887) unter dem Aspekt seiner Beziehungen zu deutschen Wissenschaftlern. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 13, 1995, S. 59–66, hier: S. 60 f.
  5. Carl Hans Sasse: Geschichte der Augenheilkunde in kurzer Zusammenfassung mit mehreren Abbildungen und einer Geschichtstabelle. 1947, S. 46 und 51.
  6. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 40.
  7. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 39.
  8. Albrecht von Graefe: Beiträge zur Lehre vom Schielen und von der Schiel-Operation. In: Graefes Archiv für Ophthalmologie. Band 3, 1957, S. 177–286.
  9. Vgl. www.ihre-gesundheit.tv.
  10. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 43 und 45.
  11. Wolfgang Jaeger: Die Erfindung der Ophthalmoskopie, dargestellt in den Originalbeschreibungen der Augenspiegel von Helmholtz, Ruete und Giraud-Teulon. Eingeleitet und erläutert von Wolfgang Jaeger. Hrsg. von Dr. Winzer. Chemisch-pharmazeutische Fabrik Konstanz. Brausdruck GmbH, Heidelberg 1977, insbesondere S. 7–17 (Die Erfindung der Ophthalmoskopie im aufrechten Bild durch Hermann von Helmholtz), hier: S. 11.
  12. Carl Hans Sasse: Geschichte der Augenheilkunde in kurzer Zusammenfassung mit mehreren Abbildungen und einer Geschichtstabelle. 1947, S. 46.
  13. Carl Hans Sasse: Geschichte der Augenheilkunde in kurzer Zusammenfassung mit mehreren Abbildungen und einer Geschichtstabelle. 1947, S. 46.
  14. Andreas Mettenleiter: Das Juliusspital in Würzburg. Band III: Medizingeschichte. Herausgegeben vom Oberpflegeamt der Stiftung Juliusspital Würzburg anlässlich der 425jährigen Wiederkehr der Grundsteinlegung. Stiftung Juliusspital Würzburg (Druck: Bonitas-Bauer), Würzburg 2001, ISBN 3-933964-04-0, S. 258, 548, 576 und 578.
  15. Hans-Jürgen Mende: Lexikon Berliner Begräbnisstätten. Pharus-Plan, Berlin 2018, ISBN 978-3-86514-206-1, S. 230 und 232.
  16. Friedhof I und II der Jerusalems- und Neuen Kirche. Beschreibung des Friedhofs und des Grabmals in der Datenbank des Landesdenkmalamtes Berlin; abgerufen am 26. März 2019.
  17. Graefestraße. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins (beim Kaupert)
  18. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 9. Oktober 2021 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.gedenktafeln-in-berlin.de
  19. Ehrengrabstätten des Landes Berlin (Stand: November 2018). (PDF, 413 kB) Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, S. 27; abgerufen am 26. März 2019. Anerkennung und weitere Erhaltung von Grabstätten als Ehrengrabstätten des Landes Berlin. (PDF, 205 kB). Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 17/3105 vom 13. Juli 2016, S. 1 und Anlage 2, S. 4; abgerufen am 26. März 2019.
  20. „Die Wandreliefs im Warteraum der Poliklinik der Universitäts-Augenklinik Halle (DDR) werden als Duplikate der Majolikareliefs des Berliner Albrecht von Graefe-Denkmals identifiziert. Es wird vermutet, dass die Duplikate ihren Platz in der Universitäts-Augenklinik Halle unter dem Ordinariat von Professor Alfred Graefe (1830–1899) erhalten haben.“ (Klin. Monatsbl. Augenheilkd. 1980; 176(5): 867-869 doi:10.1055/s-2008-1057574)
  21. Text aus Friedrich von Schillers „Wilhelm Tell“ (Quelle: Teilobjekt Standbild Albrecht von Graefe in der Denkmaldatenbank des Landesdenkmalamts Berlin. Abgerufen am: 25. April 2018.)
  22. Bestimmungen für die Erteilung des von Prof. Dr. v. Welz gestifteten „von Graefeschen Preises“. In: Bericht über die sechsundvierzigste Zusammenkunft der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft in Heidelberg 1927. Redigiert durch A. Wagenmann, Verlag von J. F. Bergmann, München 1927, S. 507 f.
  23. DOG: Statuten von: von Graefe Preis. (PDF) Abgerufen am 29. Dezember 2017.
  24. Graefe-Denkmal – Bildhauerei in Berlin. Abgerufen am 22. September 2022 (deutsch).
  25. Schule Albrecht von Graefe Webseite