Incipit des „Agricola“ im Codex Aesinas

De vita Iulii Agricolae (kurz: [der] Agricola [des Tacitus]) ist den Zügen nach eine biographische Schrift des römischen Historiographen Tacitus aus dem Jahr 98 n. Chr. über seinen Schwiegervater, Feldherrn und Statthalter in Britannien Gnaeus Iulius Agricola (40 – 93).

Die Schrift gilt als Erstlingswerk Tacitus’ und zählt zu dessen kleineren Schriften („Opera minora“: Germania, Dialogus de oratoribus) und wird vor den Historien datiert, da Tacitus die „15 Jahre des Schweigens“, das heißt die Zeit der Despotie unter Domitian verurteilte und die nachfolgenden Regierungszeiten Nervas und Trajans lobpreiste.

Das vielschichtige Werk zeigt zahlreiche Elemente antiker literarischer Traditionen, Stilistiken und Gattungen. Funktional begegnet dem Leser durch die Erinnerung an den im Jahr 93 verstorbenen Protagonisten eine (verspätete) laudatio funebris. Des Weiteren Formen eines Enkomions, die aufkommende Biographie und der exitus-Literatur (seit der Neronischen Despotie) zur Verherrlichung prominenter Opfer der jeweiligen Tyrannen – insbesondere in Tacitus’ Fokus unter Domitian. Durch die Abhandlung nach den Amtsjahren Agricolas tritt dem Leser das annalistische Geschichtswerk entgegen sowie ebenfalls in der klassischen Tradition antiker Geschichtsschreibung seit Herodot ein geographischer Exkurs (Britanniens) und die detaillierte Schilderung von Schlachten in Anlehnung an Sallust.[1]

Überlieferung

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Der Agricola ist aus der Antike nur durch den frühmittelalterlichen Codex Hersfeldensis (H) als Urschrift überliefert. Dieser wurde im 15. Jahrhundert nach Italien verbracht und dort kopiert, aufgeteilt und dessen Rest eingebunden im Codex Aesinas (E), der Anfang des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde (der humanistische Teil des Aesinas-Agricola trägt die Sigle e). Der Text ist in vier Handschriften überliefert. Neben E sind das:

Für das Stemma der Handschriften wird gemeinhin heute anerkannt, dass in E ein Teil von H erhalten ist und dessen humanistische Anteile direkte Abschriften des Agricola aus H sind. T gilt als unmittelbare Kopie aus H und E zusammen. A und B sind eng verwandt und entstammen einer eigenständigen Texttradition aus einer verlorenen Abschrift oder Abschriften der Urschrift.

Aufbau und Inhalt

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Tacitus hat den Aufbau bewusst so konzipiert, dass sich das Werk insgesamt in fünf gleichmäßige Abschnitte gliedern lässt, die den Höhepunkten der Schlacht am Mons Graupius und Agricolas Konflikt mit Domitian entgegenstreben. Der Autor zeichnet durchsichtig ein Bild des tugendhaften guten römischen Befehlshabers, dessen diese Tugendhaftigkeit bedingende charakterliche Eigenschaften in den geschilderten Lebensphasen herausgestellt werden

Kritik

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Die Kritik am Werk und der Historizität der Darstellung des Tacitus bezieht sich vor allem auf die Episode im Verhältnis des Agricola mit Domitian. Dass dieser verantwortlich, beziehungsweise mitverantwortlich für den Tod des Agricola sein sollte, ist selbst dem Schwiegersohn nicht wirklich plausibel (Vorschub der „Gerüchte“). Des Weiteren ist unklar, warum Domitian einen relativ jungen Offizier nicht weiter mit einem neuen Kommando betraute und stattdessen diesen in den Ruhestand gehen ließ. Dazu die unklare und widersprüchliche Darstellung möglicher Ämter, die Agricola hätte antreten können (41, 42), die aber dann nicht folgten. So stellt sich in der Forschung die Frage, ob es nur an Domitian lag oder ob die Leistungen und die Person des Agricola durch den Kaiser schlicht anders bewertet wurden – zumal Britannien am äußersten Rand des Imperiums nicht im zentralen Focus außenpolitisch-militärischer Belange der Zeit lag. Möglich ist, dass der Drang des hohen Offizierkorps zum militärischen Ruhm entgegen der begründeten defensiven Politik des Kaisers stand und daher Agricola in den zeitigen Vorruhestand verabschiedet wurde. Ein weiterer Aspekt ist, dass die Absicht des Tacitus in seiner Schrift nicht in der Darstellung einer exakten Biographie lag.[3]

Absicht

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In der Forschung wird die Absicht des „Agricola“ unterschiedlich bewertet. Vor allem wird der politische Charakter betont mit dem Kern als Darstellung des aufrechten (republikanisch intendierten) römischen Bürgers wider der Ausuferungen des ungewollten Principats. Des Weiteren werden autobiographische Motive des Tacitus angenommen und durch das familiäre Verhältnis einen privaten Charakter, sowie der einer Exkulpation des Protagonisten. Nicht was der Autor von und über seinen Protagonisten schreibt, sondern das Wie ist entscheidend – eine Eigenart, die im Gesamtwerk des Tacitus immer wieder begegnet.[4]

Ausgaben, Übersetzungen und Kommentare

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Einsprachig lateinische Ausgaben

Übersetzungen, teils mit Kommentar

Wissenschaftliche Kommentare

Literatur

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Wikisource: Tacitus – Quellen und Volltexte (Latein)

Anmerkungen

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  1. Stephan Schmal: Tacitus. Olms, Hildesheim 2016, S. 22–23.
  2. „Idque apud imperitos humanitas vocabatur, cum pars servitutis esset.“
  3. Stephan Schmal: Tacitus. Olms, Hildesheim 2005, S. 26.
  4. Stephan Schmal: Tacitus. Olms, Hildesheim 2005, S. 27–28.