Die Warenkunde ist eine naturwissenschaftlich-technische Disziplin von den Gebrauchswerten der Waren[1], das ursprünglich mit den "Handlungswissenschaften" substanzielles Grundlagenwissen des Handels beschreibt. Warenkunde ist die ordentliche Kenntnis der Ware. Die Propädeutik geht zurück auf den Göttinger Professor Johann Beckmann (1739–1811), der den Begriff „Waarenkunde“[2] prägte und darunter die neuen und bisher unbekannten Waren (z. B. aus anderen Erdteilen) erklärte und bekannt machen wollte, die später als Kolonialwaren bezeichnet wurden. Der Aufgabenbereich der Warenkunde war bei Beckmann: (1.) die systematische Ordnung der Waren, (2.) die Identifizierung und Prüfung der Waren, (3.) die Ermittlung der Herkunft der Waren und der wichtigsten Märkte, (4.) die Beschreibung der Herstellungsverfahren, (5.) die Erläuterung des unterschiedlichen Wertes der Sorten und Qualitäten, (6.) die Ermittlung der Bedeutung der Waren im Wirtschaftsleben.

Entwicklung des Faches

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Titelblatt von Johann Beckmanns Vorbereitung zur Waarenkunde (1793).

Die Warenkunde fand zunächst besondere Beachtung im Bereich des Handels, weil die Kenntnis der Handelsgegenstände (Handelsware) von wesentlicher Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg des Händlers war. Entsprechend kam es zur Bildung von speziellen Warenkunden (Warengruppen, z. B. der Lebensmittel oder der Textilien), die auch in beruflichen Schulen für Warenkaufleute unterrichtet wurden. Beschrieben wird das Aussehen und die Eigenschaften der Waren, die Orte ihrer Gewinnung, die Zubereitung der Waren für den Handel und die Handelssorten. Warenkundlich behandelt werden auch die Verunreinigungen und Fälschungen von Waren und die einfachsten Verfahren, diese zu erkennen.[3]

Die Handelsobjekte enzyklopädisch beschreibende Warenkunde unterscheidet sich von der Warenlehre in deren Ausrichtung auf Gebrauchswert. Johann Michael Leuchs (1763–1836) gliederte in seinem 'System des Handels, 1817', die Warenkunde vom eigentlichen Handel. Er unterschied im 1. Band: „Esswaaren“, „Waaren zur Bekleidung“, „Gemächlichkeitswaaren“, „Waaren zur Hervorbringung[4].

Mit der Verbreitung des Warenangebots und der Bildung von Marken geriet die Warenkunde in das Interesse der Vermarktung industriell produzierter Waren (Wirtschaftliche Warenlehre bzw. Warenwirtschaftslehre, Produktmarketing und Warenverkaufskunde). Im Marketing bekommen Gesichtspunkte der allgemeinen Warenkunde Bedeutung, beispielsweise die Lebenszyklen einzelner Produkte auf dem Konsumgütermarkt, deren Obsoleszenz oder die Differenzierung des Warenangebots nach Anspruchsniveaus im Warengruppenmanagement.

Da in den Überflussgesellschaften Waren nicht nur der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung dienen, sondern auch dazu, Lebensstile zu kultivieren oder die eigene Individualität auszudrücken, geraten Waren auch in den Fokus des kulturellen Interesses und der Soziologie. Hierbei interessieren etwa die kulturindustriellen Fragen, warum Waren unter amerikanischen Marken, wie Coca-Cola oder McDonald’s, weltweit Konsumstile prägen und nationale Kulturen verdrängen und in globaler Dimension die warenethischen Bemühungen zum fairen Handel und nachhaltigen Konsum.

Unter den Einflüssen von Ressourcenverknappung und der Umweltproblematik kam dem biologisch-ökologischen Aspekt der Ware besondere Bedeutung zu. So lässt sich der Ressourcenverbrauch einzelner Waren errechnen und als „ökologischer Rucksack“ definieren. Dadurch lassen sich weniger umweltschädliche Varianten als Alternativen ermitteln. Die Minimierung der Umweltbelastung im Lebenslauf der Ware hat sich die Integrierte Produktpolitik (IPP) zur Aufgabe gemacht. Damit ist die Nachhaltigkeit ein wesentlicher Aspekt von Warenkunde und Warenlehre, Grundlagenfach für das nachhaltige Management.

Als Leitbild hatte die Physikalische Ökonomie (Gottfried Wilhelm Leibniz, 1646–1716) bis Ende des 18. Jahrhunderts vielfach wirtschaftswissenschaftlichen Einfluss. Die politische Ökonomie setzte die Erkenntnisse der Naturwissenschaften noch insgesamt voraus. Johann Beckmann war Herausgeber und überwiegender Verfasser der Physikalisch-ökonomischen Bibliothek. Wiewohl auf den Grundlagen der Lehre von der Ware schon im frühen 19. Jahrhundert angeregt wurde, als eine von drei Hauptwissenschaften auch eine eigene realökonomische Disziplin aufzunehmen, hat bisher die Wirtschaftswissenschaft keine solche Lehre in sich eingegliedert. Das akademische Ausblenden der Ware als Elementarform des Wirtschaftens ist oft kritisiert worden. Dem Theorieverzicht der enzyklopädisch betriebenen Warenkunde folgten seit Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts wissenschaftslogische Neuansätze, aus welchen zunächst im betriebswirtschaftlichen Kontext die Wirtschaftliche Warenlehre (Warenwirtschaftslehre), sodann auf naturwissenschaftlich-systemtheoretischer Grundlage die bio-ökonomische Orientierung hervorgegangen sind.

Die enzyklopädisch-systematische Warenkunde entwickelte sich im Bemühen um eine fachliche Epistemologie zum Generalismus der Wissenschaft und Lehre von der Ware auf Grundlage der Allgemeinen Systemtheorie, Theoretischen Biologie (Ludwig v. Bertalanffy, 1901–1972) und Bioökonomik (Nicholas Georgescu-Roegen, 1906–1994). Wesentlich ist die Verschmelzung von Thermodynamik, Evolutionsbiologie und Wirtschaftswissenschaft. Die Warenwissenschaft / Warenlehre beruht damit auf biophysikalischen Grundlagen.[5]

Verbreitung und Pflege der Warenkunde bzw. Warenlehre gestalten sich weltweit recht unterschiedlich. Während in Deutschland der letzte Lehrstuhl für Warenkunde (Handelshochschule Leipzig) 1991 abgeschafft wurde, wird Warenlehre in Japan, Polen, Italien und anderen Ländern auf akademischer Ebene intensiv gepflegt. Die technologische Ausrichtung der Warenkunde (Hochschule für Welthandel in Wien) stand zunächst in der enzyklopädischen Tradition der Naturgeschichte. In Beibehaltung der naturwissenschaftlichen Ausrichtung wurde in Österreich ab 1978 unter zusätzlicher Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Gesichtspunkte das Integrationsfach „Biologie und Warenlehre“ (Lehramt) geschaffen. In den kaufmännischen Schulen Österreichs wird „Biologie, Ökologie und Warenlehre“ integrativ gelehrt, wobei – mit naturwissenschaftlichem Ansatz – die Ware umfassend als „der Wirtschaftsgegenstand“ begriffen wird. In der Lehrplanreform von 2014 an den kaufmännischen Lehranstalten Österreichs ist die Warenlehre mit der Intention naturverstehender Wirtschaftsweise zum Leitbild des in „Angewandte Naturwissenschaften“ umbenannten Unterrichtsgegenstands geworden. Von den Entscheidungsträgern der Wiener Wirtschaftsuniversität wurde das für die Technologie und Warenwissenschaft zuständige Institut 2012 geschlossen.

In der Umgangssprache wird der Begriff „Ware“ teilweise als Synonym für Gut oder Produkt und Konsumgut gebraucht, auch existiert im Englischen kein vergleichbarer Oberbegriff. Der Sammelbegriff „Commodities“ beschränkt sich auf homogene Handelswaren. "Ware" ist ein Gegenbegriff zu "Geld". - Die Warenkunde und die Warenlehre nehmen für sich eine umfassende Definition von „Ware“ in Anspruch: Waren sind von Menschen zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung produzierte Gegenstände, die mit wirtschaftlichen Interessen gehandelt und schließlich ge- bzw. verbraucht werden, wobei der Prozess von der Produktion bis zur Entsorgung Wechselwirkungen mit der Gesellschaft und der Biosphäre (Sozial- bzw. Human-Ökologie) hat.

Fachabgrenzungen und Fachrichtungen

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Die Warenkunde beschreibt die einzelnen warenförmigen Objekte, als eher wertfreies Strukturwissen.

Die Warenlehre dient dem theoretischen Rahmen der Warenkunde. Damit geht sie auf die Funktionen der Ware ein und unterscheidet zwischen dem Naturwert (den physischen Ressourcen) und dem Sozialwert (den Gebrauchswerten und Tauschwerten) der Waren. Die Warenlehre konzentriert sich auf den eigentlichen biologischen und kulturellen Zweck der Ware zur Bedürfnisbefriedigung. Sie unterscheidet sich als eine soziale Naturwissenschaft von der Warenwirtschaftslehre.

Die Warenwirtschaftslehre orientiert sich im betriebswirtschaftlichen Interesse des Marketing und Beschaffungswesens am Bedarf, an den Tauschwerten des Handels und an Konsumstilen. Zueinander ambivalent sind Warenverkaufskunde und Verbraucherbildung in umgekehrter Blickrichtung.

Das Erkenntnisinteresse der Warenwissenschaft begreift die Ware insgesamt als elementaren Wirtschaftsgegenstand. Diesen Ansatz der Verbindung zwischen Wirtschaft und deren Umwelt hat Nicholas Georgescu-Roegen (1906–1994) als „Bioeconomics“ bezeichnet. Die Ware als Wissenschaftsbegriff ist nach Artur Kutzelnigg (1904–1984) als Oberbegriff anzusehen, der alles das umfasst, was in Teilbereichen als Produkt, Erzeugnis, Material, Versorgungsartikel, Handelsware, Handelsgut, Gut usw. benannt wird.[6] Die warenwissenschaftliche Thematik ist aus dem allgemeinmedizinischen Interesse hervorgegangen, im historischen Vorfeld der Politischen Ökonomie und der Merkantilistik.

Literatur

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Lexika

Zeitschriften

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. Günter Grundke: in FORUM WARE 13 (1985) Nr. 1/2, S. 108
  2. Johann Beckmann: Vorbereitung zur Waarenkunde, oder zur Kenntnis der vornehmsten ausländischen Waaren, Göttingen 1793. [1]
  3. Karl Hassack, Ernst Beutel: Warenkunde, I Anorganische Waren, Sammlung Göschen, Band 222, 5. Auflage, Berlin und Leipzig, 1927, S. 6f
  4. Johann Michael Leuchs: Systeme des Handels, Band 1, Bürgerliche Handelswirtschaft, Nürnberg 1817 [2]
  5. „Evolution-Ware-Ökonomie“, ÖGWT-Symposium 28./29. Mai 2009 in Wien. – Tagungsband (hrsg. von Richard Kiridus-Göller und Eberhard K. Seifert) im oekom-Verlag, München 2012.
  6. Artur Kutzelnigg: Wort und Begriff „Ware“.- In: Die Ware im Weltbild der Wirtschaft. Festschrift für Edmund Grünsteidl zum 70. Geburtstag. Wien (Österreichischer. Gewerbeverlag) 1970, S. 24–32.