Ulrich Chaussy (2015)

Ulrich Chaussy (* 1952 in Karlsruhe) ist ein deutscher investigativer Journalist und Sachbuchautor. Er wurde besonders durch seine jahrzehntelangen Recherchen zum Oktoberfestattentat von 1980 bekannt.

Ausbildung, Berufstätigkeit, Familie

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Chaussy besuchte das Wittelsbacher-Gymnasium München und studierte von 1972 bis 1978 Germanistik und Soziologie in München. Ab 1976 arbeitete er als Hörfunk-Journalist für verschiedene der ARD angeschlossene Sender, darunter Bayerischer Rundfunk (BR), Westdeutscher Rundfunk (WDR) und Radio Bremen. Er veröffentlichte zahlreiche Sachbücher, Filme, Dokumentationen und Radio-Features. Seit 1977 befasst er sich besonders stark mit den Themen Rechtsextremismus und Neonazismus. Chaussy war Initiator eines Bürgerbegehrens gegen die Schließung von Stadtbibliotheken und gründete 2004 den Förderverein Bücher & mehr.[1] Er ist verheiratet und Vater eines Kindes.[2]

Recherchen und Filme zum Oktoberfestattentat

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Im Dezember 1982 traf Chaussy erstmals den Rechtsanwalt Werner Dietrich, der Überlebende des Oktoberfestattentats vertrat. Von da an befasste er sich kritisch mit den kurz zuvor abgeschlossenen Ermittlungen zum Attentat. Daraus entstand sein Buch Oktoberfest. Ein Attentat (erschienen 1985), das gravierende Ermittlungsfehler der Behörden aufdeckte und ihre Einzeltäterthese entkräftete.

Infolge weiterer Recherchen entwickelte er ab 2011 mit dem Filmemacher Daniel Harrich aus seinem Buch das Drehbuch zu dem Spielfilm Der blinde Fleck. Der Schauspieler Benno Fürmann spielte Ulrich Chaussy. Der Film wurde 2013 beim Filmfest München uraufgeführt und führte dazu, dass sich weitere neue Zeugen zum Attentat meldeten und dem Opferanwalt Werner Dietrich bislang verschlossene Akten zugänglich gemacht wurden. Dies trug wesentlich dazu bei, dass Dietrichs dritter Wiederaufnahmeantrag Erfolg hatte und die Bundesanwaltschaft 2014 erneute Ermittlungen zu dem Fall aufnahm. Im Zuge dieser Entwicklung erweiterte Chaussy sein Buch von 1985 in zwei weiteren Auflagen (2014; 2020). Während der Ermittlungen machten er und Daniel Harrich neue Spuren und Zeugenaussagen zum Attentat als Fernsehdokumentation bekannt.[3] Im Juli 2020 beendete die Bundesanwaltschaft die neuen Ermittlungen, stellte klare rechtsextreme Motive des Attentäters heraus, konnte jedoch keine Mittäter ermitteln und klärte die Ursachen der früheren Ermittlungsfehler nicht auf.[4]

Am 17. April 2023 erhielt Chaussy zusammen mit dem Münchner Rechtsanwalt Werner Dietrich das Verdienstkreuz erster Klasse des Bundesverdienstordens für ihre besonderen Verdienste um die Aufklärung des Oktoberfestattentats.[5]

Recherchen zum Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke

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Bei seinen Recherchen zum Oktoberfestattentat befasste sich Chaussy auch mit dem antisemitischen Mord an dem Rabbiner Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin Frida Poeschke am 19. Dezember 1980 und fand ähnliche Tendenzen der deutschen Justiz: Diese hatte in beiden Fällen als Mörder einen angeblichen Einzeltäter mit gestörter Persönlichkeit festgestellt, der zur Wehrsportgruppe Hoffmann gehört hatte und vor Abschluss der Ermittlungen gestorben war. Der mutmaßliche Anstifter Karl-Heinz Hoffmann dagegen wurde nicht als Auftraggeber oder Beihelfer des Erlanger Doppelmordes überführt. Die Ermittler gingen dem möglichen Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat nicht nach, sondern folgten Hoffmanns Eigendarstellung. Zudem wurde Lewin in Medienberichten als angeblicher Mossad-Agent diskreditiert. Dies trug dazu bei, dass der Doppelmord weithin vergessen wurde. Dem versucht Chaussy seit 2011 im Interesse der Opferangehörigen durch Aufklärung entgegenzuwirken.[6]

Biograf Rudi Dutschkes

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Im Sommer 1979 begegnete Chaussy dem Studentenführer Rudi Dutschke und führte sechs Monate vor dessen Tod mit ihm ein längeres Radiointerview. Daraus entstand bis 1983 eine Dutschkebiografie, die Chaussy nach Einsicht in zuvor unzugängliche Archivunterlagen der ehemaligen DDR bis 1993 erweiterte. Nach Einblick in westdeutsche Archive, etwa Dutschkes Personenakte beim Verfassungsschutz Berlin (West), veröffentlichte Chaussy 2018 eine erheblich erweiterte Fassung der Biografie.[1]

Forschungen zur NS-Zeit

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1977 begann Chaussy, angestoßen durch die Begegnung mit Franz J. Müller, zur Geschichte der Widerstandsgruppe Weiße Rose zu forschen. Neben archivalischen Recherchen traf er dazu viele überlebende Angehörige und Unterstützer des engeren Mitgliederkreises der Gruppe und befragte sie. Ebenso forschte er zum ehemaligen Umfeld Adolf Hitlers in Obersalzberg. Sein Buch Nachbar Hitler dazu erlebte von 1995 bis 2017 acht stetig erweiterte Auflagen.[1]

Auszeichnungen

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Publikationen

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Bücher

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2. Auflage: Oktoberfest. Das Attentat: Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann. Christoph Links, Berlin 2014, ISBN 978-3-86153-757-1.
1. Auflage: Oktoberfest. Ein Attentat. Luchterhand, Darmstadt 1985, ISBN 3-472-88022-8.
Ältere Fassung: Die drei Leben des Rudi Dutschke. Eine Biographie. Luchterhand, Darmstadt 1983, ISBN 3-472-86576-8; Christoph Links, Berlin 1993, ISBN 3-86153-060-0.

Hörbücher

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Radiofeatures

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Filme

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Commons: Ulrich Chaussy – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b c d Ulrich Chaussy, Autor und Journalist: Biographie.
  2. Kristin Beck: Stimmen, Töne, Zwischentöne. Interview mit Ulrich Chaussy. Deutsche Journalisten-Union Bayern
  3. Attentäter - Einzeltäter? Neues zum Oktoberfestattentat. ARD-Mediathek, 13. Oktober 2015.
  4. Ulrich Chaussy: Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen. Berlin 2020, ISBN 9783742506504, S. 337–347.
  5. a b Bayerische Staatsregierung: Hohe Ehren für Aufklärer des Oktoberfest-Attentats, Pressemitteilung vom 17. April 2023
  6. Ulrich Chaussy: Die vergessenen Morde an Shlomo Levin und Frida Poeschke. Vortrag bei der Woche der Brüderlichkeit, Erlangen 2011; Ulrich Chaussy: Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen, Berlin 2020, S. 250–294.
  7. Jurybegründung: Publizistikpreis der Landeshauptstadt München 2016 an Ulrich Chaussy. muenchen.de
  8. nr-Leuchtturm für Ulrich Chaussy. Netzwerk Recherche, 15. Juni 2015.
  9. Falsche Sicherheiten: Oktoberfest-Attentat: SPD ehrt „Aufklärer“ Dietrich und Chaussy. Süddeutsche Zeitung, 11. Oktober 2015.
  10. Ulrich Chaussy: Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen. Berlin 2020, S. 359.
Personendaten
NAME Chaussy, Ulrich
KURZBESCHREIBUNG deutscher Journalist und Sachbuchautor
GEBURTSDATUM 1952
GEBURTSORT Karlsruhe