Tilmann Moser (* 29. Juli 1938 in Villingen; † 29. April 2024 in Freiburg im Breisgau)[1][2] war ein deutscher Psychoanalytiker, Körperpsychotherapeut und Autor fach- und populärwissenschaftlicher sowie belletristischer Bücher.

Werdegang

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Nach dem Besuch eines Humanistischen Gymnasiums studierte Moser Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft und Soziologie an den Universitäten in Tübingen, in Berlin,[3] in Paris, in Frankfurt am Main und in Gießen. Für die abschließende Promotion verfasste er eine Dissertation zum Thema Jugendkriminalität und deren theoretischer Erklärung, die später auch in Buchform veröffentlicht wurde. Anschließend durchlief Moser eine journalistische Ausbildung in Stuttgart und wurde schließlich am Frankfurter Sigmund-Freud-Institut zum Psychoanalytiker ausgebildet. Im Rahmen einer Dozententätigkeit in den Jahren 1969 bis 1978 am Juristischen Fachbereich der Frankfurter Universität versuchte er, die Psychoanalyse in die Kriminologie und forensische Begutachtungspraxis einzuführen und kritisierte gleichermaßen die „repressive Kriminalpsychiatrie“ und die Kriminalsoziologie.

Moser praktizierte seit 1978 in Freiburg im Breisgau, wobei seelische Spätfolgen von Diktatur (vor allem der NS-Zeit, aber auch der DDR) und Krieg, sowie von repressiver Religion seine Arbeitsschwerpunkte darstellten. Durch Fortbildungen in anderen Psychotherapieverfahren erweiterte er im Laufe der Zeit seine zunächst klassisch-psychoanalytische Arbeitsweise um einen analytisch-körperpsychotherapeutischen Ansatz.

Neben Aufsätzen hat Tilmann Moser eine große Anzahl von Büchern vor allem zu tiefenpsychologischen Themen veröffentlicht, die sich teils an ein Fachpublikum, teils an eine weitere interessierte Leserschaft wenden. Erstere gingen aus seiner rechtspsychologischen Lehrtätigkeit hervor. Ein Großteil der späteren Titel hat methodische Aspekte und Erfahrungen aus seiner therapeutischen Tätigkeit zum Thema. Andere widmen sich der vor allem tiefenpsychologischen Betrachtung und Deutung von belletristischer Literatur und Bildender Kunst, von gesellschaftlichen Entwicklungen und von Religion. Dabei erregte vor allem sein autobiographisch geprägtes, religionskritisches Buch Gottesvergiftung (1976) Aufsehen. Zuletzt betätigte er sich auch als politischer und Romanautor.

In seinem im Jahr 2004 veröffentlichten Buch Bekenntnisse einer halb geheilten Seele schildert Moser, wie er wegen seiner eigenen Depressionen über viele Jahre verschiedene Therapien durchlief, bis hin zur Behandlung mit Psychopharmaka. Diese Erfahrungen waren auch der Auslöser dafür, als Therapeut neue Wege zu beschreiten.

Innovative psychotherapeutische Methodik

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Mosers analytische Therapie bezieht bei Bedarf den Körper in den psychoanalytischen Prozess mit ein. Die Vorgehensweise beruht auf der klassischen Freud’schen Psychoanalyse, also der rein verbalen Analyse und dem Durcharbeiten neurotischer Störungen. Bei Bedarf verfolgt er im therapeutischen Prozess die Wurzeln der Störung bis in frühe prä-verbale Lebensphasen (das erste und zweite Lebensjahr), die sprachlichem Ausdruck nicht direkt zugänglich sind, und bezieht für den Umgang mit diesen mittels einfühlsamen und behutsamen Berührens oder Haltens auch den Körper in die therapeutische Arbeit ein.[4] Diese Methoden, die er zuerst am eigenen Leibe als hilfreich und heilsam erlebt hatte und für deren professionelle Handhabung „eine lange körpertherapeutische Selbsterfahrung“ sowie „Zusatzausbildungen in verschiedenen Formen der Körper[psycho]- und Gestalttherapie“ notwendig waren, „führten zu einer Vertiefung des therapeutischen Prozesses, da so auch die vorsprachlich organisierten Störungen in den unbewussten Körpererinnerungen zugänglich wurden“.[5] Dabei wurde Moser unter anderem von dem US-amerikanischen Psychotherapeuten Albert Pesso beeinflusst, dessen Grundlagenwerk er ins Deutsche übersetzte[6] und mit dem er auch zusammen publizierte. Bei seiner innovativen Arbeitsweise bezog sich Moser ausdrücklich nicht auf Wilhelm Reich, der oft als „Vater der Körperpsychotherapie“ bezeichnet wird.

Rezeption

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Mosers methodische Innovationen riefen Kontroversen hervor und seine „Erweiterung des analytischen Settings führte zu jahrzehntelangen Kämpfen mit der therapeutisch-institutionalisierten Gemeinschaft der Psychoanalyse und der orthodox orientiert bleibenden Kollegenschaft“.[5] Mosers Kollegin Konstanze Zinnecker-Mallmann bezeichnet ihn als „Rebell der Psychoanalyse“ und urteilt: „Seine Rolle in der Psychoanalyse ist und bleibt umstritten, sein Reformprogramm wird ihm verübelt, er muss sich die Frage nach der Rolle des Unbewussten in der analytischen Körperpsychotherapie gefallen lassen.“ Er sympathisiere mit Sandor Ferenczi, „seinem auch kritisch gesehenen Vorbild“. Er zitiere gleichgesinnte Kollegen aus verschiedenen Ländern, nehme aber bewusst seine Rolle als Außenseiter ein. Er habe „die Psychoanalyse um die Auseinandersetzung mit dem Körper auf der Couch bereichert“.[7]

Schriften

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Einzelnachweise

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  1. Tilmann Moser im Munzinger-Archiv, abgerufen am 1. Februar 2024 (Artikelanfang frei abrufbar)
  2. Tilmann Moser: Traueranzeige. Abgerufen am 8. Mai 2024.
  3. Tilmann Moser: Biographische Notiz. In: Politik und seelischer Untergrund. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1993.
  4. Ausgeführt wird diese Arbeitsweise in Fachaufsätzen und in verschiedenen seiner Bücher: systematisch in Berührung auf der Couch. Formen der analytischen Körperpsychotherapie (2001), sowie in einer Reihe von Titeln, die die langfristige Behandlung einzelner Patienten darstellen, angefangen mit Das erste Jahr. Eine psychoanalytische Behandlung (1986) bis zu der Fallstudiensammlung zur Psychotherapie an der Sprachengrenze (2018). / Siehe dazu das Schriftenverzeichnis.
  5. a b Tilmann Moser feiert seinen 80. Geburtstag psychosozial-verlag.de, 2018.
  6. Dramaturgie des Unbewußten: eine Einführung in die psychomotorische Therapie. (Reihe: Konzepte der Humanwissenschaften.) Übersetzt und eingeleitet von Tilmann Moser. Klett-Cotta, Stuttgart 1986, ISBN 3-608-95422-8.
  7. a b Vgl. Konstanze Zinnecker-Mallmann: Rezension zu Mosers Buch Verbal – Präverbal – Averbal: Psychotherapie an der Sprachgrenze, erschienen im Deutschen Ärzteblatt vom Oktober 2018.
  8. a b Nach der Verlagsmeldung zum Buch, zitiert nach dem Inhaltstext im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, abgerufen am 13. April 2019.
Personendaten
NAME Moser, Tilmann
KURZBESCHREIBUNG deutscher Psychoanalytiker, Körperpsychotherapeut und Autor
GEBURTSDATUM 29. Juli 1938
GEBURTSORT Villingen
STERBEDATUM 29. April 2024
STERBEORT Freiburg im Breisgau