Renzo De Felice, Fotografie aus dem Jahr 1975

Renzo De Felice (* 8. April 1929 in Rieti; † 25. Mai 1996 in Rom) war ein italienischer Historiker und gehörte zu den bedeutenden Faschismusforschern Italiens. Er verfasste eine mehrbändige Mussolini-Biographie. 1995 wurde er mit dem Antonio-Feltrinelli-Preis ausgezeichnet.

Leben

De Felice studierte an der Universität Rom. Als Student war er Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens. Im Zuge der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes durch die Sowjetunion, die die Kommunistische Partei Italiens unterstützte, unterschrieb er 1956 den Manifesto dei 101 und trat aus der Partei aus.[1]

1968 wurde De Felice ordentlicher Professor für Storia contemporanea an der Universität Salerno. Drei Jahre später wechselte er an die Universität Rom, wo er zunächst eine Professur für die Geschichte der politischen Parteien in der Fakultät der Literaturwissenschaften innehatte; 1979 wechselte er zur Fakultät der Politikwissenschaften, bis er 1986 schließlich Professor für Storia contemporanea an derselben Universität wurde.[2]

1970 gründete er die Zeitschrift Storia contemporanea, die er herausgab und an der er bis zu seinem Lebensende maßgeblich mitwirkte; am 25. Mai 1996, dem Todestag De Felices, erschien in der letzten Ausgabe der Zeitschrift ein Nachruf, der erklärte, dass mit dem Tod ihres Gründers und Herausgebers auch die Zeitschrift nicht weiter existieren könne.[3]

Werk

De Felice vertrat die Ansicht, man müsse die Realität des Faschismus verstehen, bevor man über ihn urteile. Kritiker haben in diesem Ansatz eine apologetische Tendenz gesehen.[4] De Felice hebt hervor, der Faschismus habe im Gegensatz zu traditioneller „Reaktion“ die aktive Teilnahme der Massen an der Politik bewirkt. Den Faschismus deutet er als revolutionäre Bewegung der Mittelschicht, deren Wurzeln bis in die Aufklärung zurückreichen. Nach De Felice kam der Faschismus nicht als Angst vor einer proletarischen Revolution auf, sondern als Rollenbestimmungsversuch der aufkommenden Mittelschicht. De Felice betonte nicht die Gemeinsamkeiten, sondern die Unterschiede von Faschismus und Nationalsozialismus. Für ihn stand der Faschismus außerhalb des „sengenden Kegels des Holocaust“.[5] De Felice verneinte die Existenz einer dem faschistischen Italien eigenen Rassenideologie und beschrieb Mussolinis Diktatur als autoritäres, wenig gewalttätiges, ja paternalistisches Regime, nicht aber als totalitäre und damit dem nationalsozialistischen Deutschland vergleichbare Diktatur. Dabei maß De Felice weder Mussolinis Eroberungskriegen noch den blutigen Besatzungsherrschaften in Libyen, Äthiopien und auf dem Balkan eine entscheidende Bedeutung bei. Dem faschistischen Italien sei Völkermord vollkommen fremd gewesen.[6] Jegliche Parallelisierungen mit zeitgleichen europäischen Bewegungen lehnt De Felice ab. Einen europäischen Faschismus, wie ihn Ernst Nolte sah,[7] habe es nicht gegeben. Der Faschismus sei nichts mehr als die politische Linie Mussolinis. Die Herrschaft Mussolinis unterteilt De Felice in eine gute Zeit der frühen Jahre und die negativen Jahren des späteren Regimes. Die Jahre von 1929 bis 1936, in denen der Duce seine Macht konsolidieren konnte, bezeichnete er als „Jahre des Konsenses“ (anni del consenso). Die jahrelange Zustimmung der schweigenden oder akklamierenden Mehrheit bis zu den schlechten Tagen des Kriegs kann nach De Felice nicht nur als das Ergebnis von Manipulation und Zwang betrachtet werden. Sehr stark hebt De Felice die friedliche, prowestliche Ausrichtung der italienischen Außenpolitik bis 1934 hervor. Die spätere Verstrickung Italiens in Kriege sieht er nicht als zwangsläufig in der Logik des Regimes liegend.[8]

Über die Zeitschrift Journal of Contemporary History beeinflusste De Felice mit seinen Thesen auch die englischsprachige Literatur stark. Erst ab 2010 erschienen in den Fachzeitschriften Journal of Modern Italian Studies und Italian Studies mehr kritische Artikel zum italienischen Kolonialismus und Völkermord in Libyen.[9]

Schriften (Auswahl)

Monographien

Aufsätze

Literatur

Einzelnachweise

  1. Giuseppe Angelo (Hrsg.): Renzo De Felice. Bibliografia 1953–2002. S. 21.
  2. Giuseppe Angelo (Hrsg.): Renzo De Felice. Bibliografia 1953–2002. S. 22 f.
  3. Giuseppe Angelo (Hrsg.): Renzo De Felice. Bibliografia 1953–2002. S. 23–25.
  4. So z. B. Wolfgang Schieder: Faschismus als Vergangenheit. Streit der Historiker in Italien und Deutschland. In: Walter H. Pehle (Hrsg.): Der historische Ort des Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 1990, S. 136–154, hier S. 139 ff.
  5. Renzo De Felice in einem Interview im Corriere della Sera (27. Dezember 1987). Zitiert nach Wolfgang Schieder: Die Geburt des Faschismus aus der Krise der Moderne. In: Christoph Dipper (Hrsg.): Deutschland und Italien 1860–1960. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2. Aufl., S. 162.
  6. Aram Mattioli: »Viva Mussolini!« Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis. Paderborn u. a. 2010, S. 34 f; Wolfgang Schieder: Die Verdrängung der faschistischen Tätervergangenheit im Nachkriegsitalien. In: Asfa-Wossen Asserate, Aram Mattioli (Hrsg.): Der erste faschistische Vernichtungskrieg. Die italienische Aggression gegen Äthiopien 1935–1941. Köln 2006, S. 191.
  7. Dazu vor allem Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. Action francaise – Italienischer Faschismus – Nationalsozialismus. Piper, München 1963.
  8. François Bondy: Was ist Faschismus? In Italien hat ein Historiker mit einem kleinen Buch einen politischen Streit entfesselt. In: Die Zeit (5. September 1975).
  9. Ali Abdullatif Ahmida: Genocide in Libya: Shar, a Hidden Colonial History. London/ New York 2020, S. 58.