Dresdner Frauenkirche aus der Barockzeit – 1945 zerstört, 1994 bis 2005 rekonstruiert. Am umgebenden Neumarkt wurden mehrere Stadthäuser rekonstruiert oder möglichst ensembletauglich neu interpretiert. Das Johanneum links wurde bereits in den 1960ern wiederaufgebaut.
Bauhaus Dessau von 1925 – 1945 zerstört, Fassade 1965 bis 1976 rekonstruiert
Frankfurter Römerberg aus dem Mittelalter – 1944 zerstört, 1981 bis 1983 rekonstruiert
Barcelona-Pavillon von 1929 – 1930 abgerissen, 1983 bis 1986 rekonstruiert

Unter Rekonstruktion (teils auch: Wiederaufbau) ist in der Architektur und der Denkmalpflege die weitgehend vorbildgerechte Wiederherstellung von zerstörten Baudenkmalen, historischen Gebäuden oder Gebäudeteilen aber auch von historischen Parkanlagen und der darin befindlichen Architekturen zu verstehen.

Die Rekonstruktion von ganzen Bauwerken und Bauwerksteilen ist seit Jahrhunderten gängige Praxis.[1] Bei der Wiederherstellung einzelner Gebäudeteile an einem bestehenden Gebäude, zum Beispiel einer Fassade, spricht man auch von Teilrekonstruktion.

Überwiegend werden baukulturell und kunsthistorisch bedeutsame Gebäude und Ensembles rekonstruiert, meist nach Kriegszerstörung, Verfall, Brand, Naturkatastrophen, baulicher Veränderung (etwa Entstuckung) oder Abriss. Besonders häufig werden Rekonstruktionen in Kulturregionen vorgenommen, die durch Kriegsverluste bzw. viele nachkriegszeitliche Abrisse von Kulturgütern geprägt sind, etwa in Polen und in Deutschland (siehe Liste rekonstruierter Bauwerke in Deutschland).

Viele rekonstruierte Bauten sind selbst Kulturdenkmale geworden, einige gehören sogar zum Weltkulturerbe der UNESCO, etwa die Warschauer Altstadt, die Lübecker Marienkirche, das Bauhaus Dessau und der Markusturm von Venedig.

In der von 1949 bis 1990 bestehenden DDR wurde der Begriff Rekonstruktion im Bauwesen oft lediglich für eine Erneuerung, Sanierung bzw. Modernisierung von Bauwerken verwendet, ohne denkmalpflegerische Absichten oder Wiederaufbaupläne.[2] Auch im englischen Sprachraum war diese Begriffsverwendung lange üblich. Heute wird der Begriff in der Regel für die in diesem Artikel beschriebenen Varianten des Wiederaufbaus verwendet.

Einführung

Zu Rekonstruktionen im Bauwesen kommt es in der Regel, um durch Krieg, politische Willkür oder Naturkatastrophen zerstörte wahrzeichenhafte Bauten und bauliche Ensembles in ähnlicher, möglichst identischer Form wieder erstehen zu lassen.

Die Bewertung von Rekonstruktionsvorhaben ist sehr unterschiedlich. Der Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden war umstritten. Der Nachbau der Brücke von Mostar wurde nie angezweifelt. Von der Wiederherstellung der Twin Towers des World Trade Centers in Manhattan wurde ausdrücklich Abstand genommen.

Die St. Michaeliskirche in Hamburg wurde in ihrer 400-jährigen Geschichte zweimal rekonstruiert.
Das Goethe-Haus in Frankfurt am Main wurde nach Kriegszerstörung bis 1951 rekonstruiert.
Das Knochenhaueramtshaus in Hildesheim wurde 1987 bis 1989 rekonstruiert.
Schloss Bruchsal (Rekonstruktion 1975 abgeschlossen)
Der Innenhof des Nürnberger Pellerhauses wurde 2008 bis 2018 rekonstruiert.
Der Goldene Saal im Augsburger Rathaus wurde nach Kriegszerstörung bis 1985 rekonstruiert.
Das Antiquarium in der Münchner Residenz wurde nach Kriegszerstörung bis 1958 rekonstruiert.
Das Bernsteinzimmer wurde nach Kriegsverlust bis 2003 rekonstruiert.
Der Rokokosaal in der Weimarer Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek wurde nach Brandzerstörung bis 2007 rekonstruiert.
Das Braunschweiger Schloss wurde 2005 bis 2007 als Bibliothek, Museum und Einkaufszentrum rekonstruiert.
Das Schloss Herrenhausen in Hannover wurde 2011 bis 2013 als Museum und Veranstaltungszentrum rekonstruiert.
Potsdamer Stadtschloss, Wiederaufbau als Landtag Brandenburg
Berliner Stadtschloss, äußerer Wiederaufbau als Humboldt Forum bis 2020

Arten von Rekonstruktionen

Es gibt verschiedene Vorgehensweisen bei der Rekonstruktion, die sich im Grad der Originaltreue und in der Sensibilität zur Umsetzung unterscheiden. Georg Mörsch bezeichnet in der Architektur die Rekonstruktion als eine „wissenschaftliche Methode der Quellenausbeute zur Neuherstellung untergegangener Dinge, unabhängig von der Zeit, die seither verstrichen ist“.[3]

In der Dresdener Inneren Altstadt wurden die verschiedenen Rekonstruktionsverfahren gemischt angewandt: Schon in den Nachkriegsjahrzehnten wurden einzelne Bauwerke, deren Ruinen überdauert hatten, unter der Leitung des Denkmalpflegers Hans Nadler wieder aufgebaut, etliche andere im Ruinenzustand gesichert. Nach der Wende und friedlichen Revolution in der DDR und der deutschen Wiedervereinigung wurden nicht nur einzelne Gebäude, allen voran die Frauenkirche und das Dresdner Residenzschloss, rekonstruiert, sondern nach Warschauer Vorbild ganze Plätze und Straßenzüge, so weitgehend der Neumarkt, die Rampische Straße und die Landhausstraße. Dabei wurden einzelne Fassaden originalgetreu, andere nachempfunden, replikativ oder interpretierend wiedererrichtet.

Doch selbst wenn ein Gebäude weitgehend originalgetreu wieder entsteht: Baurechtlich kommt eine Rekonstruktion einem Neubau gleich und ist daher im Allgemeinen noch kein Baudenkmal im Sinne des Denkmalschutzes. Rekonstruktionen können dennoch in den Denkmalschutz aufgenommen und sogar zu herausragenden Baudenkmälern ernannt werden, wie die Bauten der Warschauer Altstadt, die seit 1980 zum UNESCO-Welterbe gehören, oder die wiederaufgebaute Würzburger Residenz, die 1981 in die Welterbeliste aufgenommen wurde.

Unregelmäßiges dekoratives Natursteinmauerwerk mit dahinterliegender Luftschicht, Dämmung und Tragstruktur aus Beton beim Wiederaufbau des Dom-Römer-Viertels

Herausforderungen bei Rekonstruktionen

Unabhängig davon, welche Art der Rekonstruktion vorgenommen wird, gibt es einige wiederkehrende Herausforderungen und Fragestellungen.

Die gesetzlichen Herausforderungen treffen allerdings vor allem auf originale Baudenkmale zu, da diese nicht neu geplant werden können und die Umbauten im Bestand vorgenommen werden müssen. Die Denkmalschutzgesetze gewähren meist jedoch Freiheiten bezüglich der Bestimmungen, sodass ein weitgehend originalgetreuer Erhalt von Altbausubstanz ermöglicht wird.

Öffentliche Debatte

Bis in die 1920er Jahre wurden Wiederaufbauten in der Regel wie jedes andere Bauvorhaben diskutiert. Seit dem 20. Jahrhundert gibt es vielfältige Perspektiven auf die Wiederherstellung von ganz oder teilweise verlorenen Bauwerken – im Zuge einer globalen Modernismusbewegung, welche historische Referenzen häufig ablehnt, des Denkmalschutzverständnisses seit Georg Dehio und der CIAM-Charta von Athen und teils gegenläufiger Bewegungen wie der Postmoderne, dem nachhaltigen Städtebau und Neuem Urbanismus.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird insbesondere in kriegszerstörten Städten das Rekonstruieren von Gebäuden hinsichtlich verschiedener Aspekte diskutiert.

In der öffentlichen Debatte wird zumeist davon ausgegangen, dass historische oder historisierende Architektur von der Bevölkerung als ansprechender empfunden wird als modernistische Architektur. Der Verlust des „schönen Alten“ wird als ästhetische Minderung gesehen, historisch entstandene und schlecht geschlossene Baulücken als andauernder „Makel im Stadtbild“ erlebt.

Dies belegt unter anderem auch der Diskussionsverlauf bei Objekten wie dem Knochenhaueramtshaus in Hildesheim, das als Ersatz für einen als unangemessen empfundenen modernistischen Bau der Nachkriegszeit errichtet wurde. Bei diesem Gebäude verfuhr man sogar konstruktiv originalgetreu: Anstatt aus Stahlbeton mit vorgeblendeter Fassade wurde die Rekonstruktion in handwerklicher Weise als Fachwerkhaus, unter der Verwendung von Holznägeln, errichtet. Beim Dresdner Coselpalais hingegen, das von 1998 bis 2000 rekonstruiert wurde, verzichtete man sogar auf den historischen Innenhof; anstatt den konstruktiv sowie zur Belichtung und Belüftung erforderlichen Hof wieder herzustellen, entstanden künstlich belichtete Etagen sowie ein modernistischer Anbau zwecks Vermehrung der Bruttogeschoßfläche.

Die weltweite, jahrzehntelange sterile und einfallslose Wiederholung der ursprünglich bahnbrechenden und phantasievollen Formensprache der modernistischen Architektur, in weltweiter Verbreitung, dürfte an dem Misstrauen gegen zeitgenössische Lösungen ebenso ihren Anteil haben wie die Neigung der Postmodernen Architektur zur ironischen Effekthascherei.

Der Publizist Philipp Maaß sieht in der Rekonstruktion eine „Emanzipation der Bürgerschaft in Architektur und Städtebau“. Er fordert in diesem Zusammenhang, „einen wirklichen architektonischen Pluralismus wie zu Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur zuzulassen, sondern auch zu fördern“.[5]

Unter Architekten und Denkmalpflegern ist die Rekonstruktion von Gebäuden häufig umstritten. Es stehen sich unterschiedliche Motive und Wertvorstellungen gegenüber. Insgesamt erweist sich die Frage der Rekonstruktion am prominenten städtischen Standorten im Kontext Stadtbild als wesentlich konfliktträchtiger, als dies bei abgelegenen Bauten oder im Freiland zutrifft, etwa bei den experimentellen oder didaktischen Rekonstruktionen.

Eine Reihe von aktuellen Rekonstruktionen, so der Neumarkt in Dresden, das Braunschweiger Schloss, das Berliner Stadtschloss oder das Henschelhaus am Königsplatz in Kassel, sind Neubauten mit historischer Fassadengestaltung, aber moderner Bautechnik und mit völlig neuen Nutzungen. Originale Bausubstanz ist bei den genannten Projekten oft kaum noch erhalten. Gegen diese Vorgehensweise wird vor allem von Architekten vorgebracht, es werde lediglich eine historische Anmutung erzeugt, um bestimmte Käuferschichten anzusprechen.[6]

Für Rekonstruktionen mit fehlender Originalsubstanz gibt es allerdings auch prominente Beispiele. Der Wiederaufbau der völlig zerstörten Warschauer Altstadt wird als Rekonstruktion sogar in der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes geführt. Von Ortsunkundigen werden rekonstruierte Bauten als solche im Allgemeinen nicht wahrgenommen, das Stadtbild gewinnt dadurch in den Augen des Betrachters an Attraktivität. Auch im Bewusstsein der Anwohner gerät die Tatsache der Rekonstruktion eines Gebäudes meist nach einiger Zeit in Vergessenheit, die Bauten werden wieder als organischer Teil ihrer Umgebung wahrgenommen. In der allgemeinen Rezeption der Baugeschichte sind Zerstörung und anschließende Rekonstruktion nicht mehr als eine Episode in der Geschichte des Bauwerks, die sich auf gewisse Art wenig von einer Generalsanierung unterscheidet. Der meist von Denkmalschützern vorgebrachte Wunsch nach Originalsubstanz kann auch bei vielen Altbauten nicht eingehalten werden, man spricht auch vom Theseus-Paradoxon.

In der behördlichenDenkmalpflege herrscht seit den Publikationen von Georg Dehio und Alois Riegl noch häufig die Meinung vor, dass Zerstörung als authentischer Teil der Geschichte eines Bauwerks akzeptiert werden müsse. Diese Haltung richtet sich gegen die umfassenden „Verbesserungsprojekte“ in der Epoche des Historismus, die bei Rekonstruktionen häufig einen historischen Idealzustand wiederherzustellen suchten. Zerstörungen, Um- und Ausbauten seien in der Geschichte von Baudenkmälern unumkehrbare Tatsachen, die durch eine ideale Rekonstruktion unlesbar würden. Dem gegenüber machen Rekonstruktionsbefürworter geltend, dass bestimmte zerstörte Bauten kunsthistorisch von so herausragender Bedeutung und so hoher gestalterischer Qualität gewesen sind, dass auch Jahrzehnte nach ihrem Verschwinden ein legitimes Interesse bestehen kann, sie zu rekonstruieren. Dies auch im Sinne der Rückgewinnung von Baukultur und der „sanften Heilung“ von z. B. kriegszerstörten Städten. Außerdem kann eine Wiederherstellung im Sinne einer historischen Dokumentation als museal-pädagogische Maßnahme bedeutsam sein. In diesen Zusammenhang gehört auch der Wunsch, erhalten gebliebene originale bewegliche Ausstattungsstücke wie Möbel, Gemälde, Skulpturen wieder in dem rekonstruierten Raum zu zeigen, zu dessen Ausstattung sie ehemals gehörten, anstatt sie lediglich in der neutralen Umgebung eines Museums zu präsentieren oder in einem Magazin für die Öffentlichkeit unzugänglich aufzubewahren.

Auch beim Abbruch oder nach der Zerstörung geborgene Spolien der Architektur selbst können als Argument für eine Rekonstruktion dienen, durch die Einfügung in das rekonstruierte Bauwerk wird ihre ursprüngliche Wirkung wieder erlebbar, oft ist sie allerdings (zu starke Schäden, Gefahr der Verwitterung usw.) nicht möglich. Fälle wie die Dresdner Frauenkirche, bei der möglichst jeder erhaltene und aus den Trümmern geborgene Stein am Originalstandort wieder eingebaut wurde, sind aufgrund des großen technischen und finanziellen Aufwandes seltene Ausnahmen.

Eine im Denkmalschutz entscheidende Frage ist die nach der Originalsubstanz. Damit ist nicht alleine die zur Bauzeit errichtete Materie gemeint, sondern gerade auch die verschiedenen späteren Schichten, die jeweils Zeugnisse ihrer Zeiten sind. In der Denkmalpflege werden heute diese Schichten gemeinsam mit der bauzeitlichen Substanz als Wert angesehen, wenn sie jeweils nach kunsthistorischer Einschätzung einen Wert besitzen. Die Praxis der Bau- wie auch Kunstgeschichte geht so weit, nicht eine bestimmte Fassung eines Objekts als „das Original“ zu erachten, weder die Erstfassung oder die prächtigste oder seinerzeit populärste, noch die letzte, die sich in der Erinnerung festgesetzt hat. Wenn ein Objekt auf einen früheren Zustand zurückgeführt würde, ließe sich nicht gerechtfertigt entscheiden, auf welchen. Verglichen mit dieser speziellen Auffassung von Substanz verfüge eine Rekonstruktion nie über die historische Vielschichtigkeit und auch nicht die Geschichte des Originals. Mit der Rekonstruktion eines bestimmten historischen (Ideal-)Zustandes gehe unweigerlich die Authentizität eines gegebenenfalls beschädigten Baudenkmals oder einer Ruine verloren. Ein nachempfundener Neubau entspreche aufgrund veränderter Materialien und Bautechniken auch bei bester Originalgetreue niemals seinem Vorbild. Als historisches Dokument sei das Zerstörte in jedem Falle verloren und sein Ersatz konstituiere ein neues Dokument. Mit der Charta von Venedig von 1964 wurde für die Denkmalpflege eine zentrale und international anerkannte Richtlinie für den Umgang mit originaler Bausubstanz geschaffen; sie ist der wichtigste denkmalpflegerische Text des 20. Jahrhunderts und legt zentrale Werte und Vorgehensweisen bei der Konservierung und Restaurierung von Denkmalen fest.

Verlust an baulichem Erbe wird allerdings von vielen Bürgern vor allem als Verlust an Lebensqualität gesehen; und manchen Gebäuden wird eine über die reine Substanz hinausgehende ideelle Bedeutung zugesprochen. Bestimmte, verloren gegangene Gebäude werden für die Identität eines Ortes als prägend empfunden, die Bewohner identifizieren diese Gebäude als unentbehrlichen Teil ihrer Stadt. Dagegen wird in der Regel von Architekten und Denkmalpflegern eingewandt, ein rekonstruiertes Gebäude habe immer den Aspekt einer Kulissenarchitektur und erreiche nie mehr den kulturellen und ideellen Wert des Originals – ein Gesichtspunkt der „Redlichkeit“, der von Rekonstruktionsbefürwortern eher als sekundär empfunden wird. Rekonstruktionsgegner geben auch oft zu bedenken, die Wiedererrichtung könnte zur Verklärung der Vergangenheit beitragen. Herausragende Bauwerke tragen jedenfalls meist hohen Symbolcharakter. Deren Zerstörung überhöht diese Symbolinhalte. Wie sich das auf eine Rekonstruktion überträgt, lässt sich schlecht vorhersagen.

Rekonstruktionskritiker aus dem Architektenstand und verwandten Berufen gehen von der Vorstellung aus, moderne Stadtgestaltung und zeitgenössische Architektur seien Ausdruck gesellschaftlicher Identität, die sich kontinuierlich weiterentwickelt. Danach sei es für eine Gesellschaft wichtig, ihre Architektur, die ihren Lebensumständen und Bedürfnissen gerecht wird und deren Ausdruck sie ist, durch Bauprojekte zu pflegen, und nicht hingegen, alte Architektur nachzuschöpfen. Dieser Konsens, was das Zeitgemäße sei, wird von den Befürwortern der Rekonstruktion in Frage gestellt. Aus kulturhistorischer Sicht sehen die Kritiker Rekonstruktion als Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts, das in der Geschichte kaum Vorbilder hatte und heute überholt sei. Rekonstruktion könne damit nur eingeschränkt historisch legitimiert sein. Zum anderen sei auch der Begriff Stadtbild – als über das Einzelgebäude hinausgehende architektonische Einheit – erst im Laufe der Moderne in das Blickfeld der Architektur geraten. Befürworter der Rekonstruktion haben dagegen wenig Berührungsängste mit den harmonistischen Architekturauffassungen des 19. Jahrhunderts und verweisen auch auf die nachhaltige Popularität der nach unzulässigen Prinzipien „damals fertiggestellten“ Dome. Gerade der freie Zugriff auf die Formensprache aller früheren Epochen wird aber als einer der Wesenszüge des Historismus wie auch der Postmoderne gesehen. In anderem Sinne erfülle die Rekonstruktion gerade darum die Forderung nach der Antwort auf die Bedürfnisse der Zeit und ist in diesem Sinne Ausdruck der zeitgenössischen Bautätigkeit. Wie spätere Geschichtsepochen über die zeitgenössische Phase der Architektur und ihre Eigenheiten urteilen werden, lässt sich nicht sagen.

Für Architekten ist es oft nicht erstrebenswert, Nachbildungen auszuführen, statt Neues zu schaffen. In diesem Sinne ist jeder Neubau „historisch getreuer“, weil auch die zerstörten Objekte seinerzeit Ausdruck ihrer eigenen Zeit waren. Einerseits ist die „Idee eines Gebäudes“ das eigentliche Werk eines Architekten und eine Rekonstruktion würde in diesem Sinne eine Würdigung darstellen. Zum anderen arbeitet jeder Architekt in irgendeiner Weise mit der Geschichte des Bauplatzes. Dieser Bezug auf die Vorgängerbauten ist als Würdigung zu sehen, auch wenn sie in ausdrücklichem Kontrast steht. Baulösungen der Architekten des Historischen konkurrieren zu einem Neuprojekt. Es bleibt die prinzipielle Frage stehen, warum man etwas wieder entstehen lassen soll, statt ein neues Gebäude zu errichten.

An prominenten Einzelbeispielen von Rekonstruktionsvorhaben und -ausführungen zeigt sich, dass Architektur in der Öffentlichkeit ein Faktor ist, der noch genauso polarisieren kann, wie das aus der Geschichte der Architektur aller Zeiten bekannt ist. Weltweit gesehen ist die gesamte Diskussion um pro und contra Rekonstruktion eine in eurozentrischen Feinfühligkeiten verwurzelte Problematik. Andere Kulturen, sowohl der angloamerikanische Raum wie auch Asien, gehen mit der Thematik anders um: Die regelmäßige komplette Neuerrichtung eines buddhistischen Tempels gehört in der asiatischen Baukunst zur jahrhundertealten Tradition, das europäische Konzept „originalgetreu“ spielt in diesem Kulturkreis, der im philosophischen Kern alles Materielle als wertlose Hülle erachtet, bis heute eine untergeordnete Rolle. Die 2000 Jahre alten Ise-jingū-Schreine in Japan werden alle 20 Jahre nach exakt denselben Plänen aus Holz rituell neu errichtet. In China etwa werden, während ganze historische Städte und Stadtkerne stadt- und wirtschaftsplanerischen Großprojekten geopfert werden (Shanghai, 3-Schluchten-Damm), umgekehrt auch historisierende Projekte verwirklicht – etwa das Altstadtprojekt von Datong einer Stadt im Mingstil oder die Wiederherstellung der in der Kulturrevolution zerstörten Sakralbauwerke. Auch in den USA spielt der Denkmalgedanke nur eine untergeordnete Rolle und bezieht sich auf zeit- und kulturgeschichtlich bedeutende historic monuments denn auf baugeschichtliche.

Akzeptanz von Rekonstruktionen

Bei einer repräsentativen Befragung des Instituts Forsa im Auftrag der Bundesstiftung Baukultur waren 80 % aller Teilnehmer für den Wiederaufbau von historischen Gebäuden und 15 % dagegen. Besonders hoch war die Zustimmung zu Rekonstruktionen unter den Frauen (83 %) und den 18- bis 29-Jährigen (86 %). Auf die Frage, ob historische Gebäude auch bei anderer Nutzung wiederaufgebaut werden sollten, antworteten 80 % aller Teilnehmer mit „ja“ und 16 % mit „nein“.[7]

Papstbasilika St. Paul vor den Mauern in Rom – 1823 ausgebrannt, bis 1840 rekonstruiert
Markusturm in Venedig – 1902 eingestürzt, bis 1912 rekonstruiert, seit 1987 UNESCO-Welterbe
Tuchhallen in Ypern – 1918 zerstört, bis 1967 rekonstruiert, seit 1999 UNESCO-Welterbe
Alcazar von Toledo – 1936 zerstört, 1939 bis 1957 rekonstruiert
Warschauer Altstadt – 1944 unter deutscher Besatzung zerstört, bis 1955 rekonstruiert, seit 1980 UNESCO-Welterbe
Stoa des Attalos in Athen (Rekonstruktion von 1956)
Tor des Himmlischen Friedens in Peking (Rekonstruktion von 1970)
Tempel von Garni (Rekonstruktion von 1975)
Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau – 1931 unter Stalin abgerissen, 1995 bis 2000 rekonstruiert
St. Michaelskloster in Kiew – 1936 unter Stalin abgerissen, 1997 bis 1999 rekonstruiert
Alte Brücke in Mostar – 1993 im Bosnienkrieg zerstört, bis 2004 rekonstruiert, seit 2005 UNESCO-Welterbe

Beispiele für Rekonstruktionen

Abgeschlossene Rekonstruktionen am Ursprungsort

Prominente Beispiele mit weltweiter Aufmerksamkeit, die die Vielfalt der rekonstruktiven Intentionen und Methoden beleuchten:

Vor 1945

Nach 1945

In Europa
In Asien

Geplante oder in Bau befindliche Rekonstruktionen am Ursprungsort

Rekonstruktionen an anderer Stelle

Als weiterer Aspekt sind die Rekonstruktionen an anderer Stelle, meist aus rein denkmalpflegerischen Gründen, zu sehen: Hierbei ist der Verlust des Originals nicht Voraussetzung. Die Bandbreite erreicht hierbei – anhand von prominenten Beispielen – etwa:

Andere Methoden

Repräsentative Ersatzbauten

Es gibt Beispiele, bei denen man sich gegen die Rekonstruktion von zerstörten Gebäuden entschieden und stattdessen Ersatzbauten errichtet hat.

Digitale Rekonstruktion

Die digitale oder auch virtuelle Rekonstruktion dient zur Darstellung zerstörter Gebäude, Städte oder historischer Vorgänge. Die digitale Auferstehung zerstörter beziehungsweise beschädigter Kulturgüter wird mit CAAD und Rendering-Software erstellt und dient der Veranschaulichung.

Die digitale Rekonstruktion nicht länger existenter (Architektur-)Objekte im stadträumlichen Kontext kommt einer „virtuellen Wiedergewinnung“ gleich. Irreversible Zerstörungen, die identitätsstiftende Bauwerke aus dem Stadtraum entfernten, bilden nicht selten den Anlass für eine digitale Rekonstruktion. Im Zuge der Rekonstruktion tritt in vielen Fällen die Problematik der Zuverlässigkeit des vorhandenen Grundlagenmaterials in den Vordergrund. Fotografien und die meist nur – im städtisch überbauten Raum primär – im Grundriss erhaltenen archäologischen Grabungsbefunde liefern aufgrund der zweidimensionalen Daten nur eingeschränkten Informationsgehalt über den Gegenstand der Betrachtung. Fehlende Informationen müssen ergänzt bzw. durch zusätzliche Quellen ersetzt werden.

Das dreidimensional rekonstruierte Objekt offeriert jedoch erweiterte Möglichkeiten im Umgang als ein materielles Replikat. Die Implementierung computergenerierter Baustrukturen in eine zusammengefügte Realbildumgebung vermag es, ergänzt durch „Navigation in Echtzeit“, eine Wirklichkeitsnähe zu erlangen, welche sich den komplexen Vorgängen menschlicher Wahrnehmung annähert. Wesentlich ist jedoch, dass es erst die vollständige digitale Modellstruktur gestattet, die plastische Erscheinungsform einer Architektur in konkreter Form zu veranschaulichen. Darüber hinaus kann ein virtuelles Modell in Teilmodelle zerlegt werden sowie die gesamte Baugeschichte in ihren Bauphasen erfassen.

Daneben gestattet das virtuelle Modell die Generierung von unterschiedlichen Rekonstruktionsvarianten hinsichtlich Farbe und Material. Insofern dient sie sowohl als planerische, wie auch gestalterische Entscheidungsbasis tatsächlich ausgeführter Rekonstruktionen, und in diesem Sinne unterscheidet sich digitale Rekonstruktion nicht von anderen Vorgängen modernen CAAD-gestützten Bauens.

Als künstlerische Aufnahme dieser Thematik kann John Bennetts und Gustavo Bonevardis Tribute in Light am New Yorker Ground Zero gelten.

Zitate

„Soll man rekonstruieren? Ich muss die Frage rückhaltlos bejahen. Vielleicht ist die Zahl der Menschen in Deutschland wie außerhalb heute noch nicht so sehr groß, welche vorauszusehen vermögen, als welch vitaler Verlust, als welch trauriger Krankheitsherd sich die Zerstörung der historischen Stätten erweisen wird. Es ist damit nicht nur eine Menge hoher Werte an Tradition, an Schönheit, an Objekten der Liebe und Pietät zerstört: Es ist auch die Seelenwelt dieser Nachkommen einer Substanz beraubt, ohne welche der Mensch zwar zur Not leben, aber nur ein hundertfach beschnittenes, verkümmertes Leben führen kann.“

„Wer einen verlorenen oder zerstörten Bau rekonstruiert, fälscht nicht und verfälscht auch nichts, denn es handelt sich immer um einen Neubau, der als solcher trotz historischer Formen zumindest für die Zeitgenossen bekannt und kenntlich ist und über entsprechende Quellen und Dokumente auch für spätere Generationen immer als Wiederholung identifizierbar bleibt.“

„Eine Kopie ist kein Betrug, ein Faksimile keine Fälschung, ein Abguss kein Verbrechen und eine Rekonstruktion keine Lüge.“

„Der Wert historischer Denkmäler besteht weniger im Alter ihres Baumaterials als vielmehr im Fortbestand der Ideen, die sie verkörpern. Eine identische Rekonstruktion mit übereinstimmenden Materialien, Formen und Techniken, deren man sich ursprünglich bediente, hat einen höheren Wert als ein ruinenhaftes Original. Wie Joachim Fest sagt, hängt die Originalität eines Gebäudes nicht von seinem Material ab, sondern liegt in der Originalität seines Entwurfs. (…) Was uns an einem alten Denkmal berührt, ist nicht sein Altertumswert, sein Wert qua Alter, sondern seine konstante Modernität – das heißt, seine Fähigkeit, zu uns zu sprechen trotz seines Alters, und die Kraft, seine materielle Altertümlichkeit zu transzendieren.“

Siehe auch

Literatur

Zur Begriffsklärung und Abgrenzung der Rekonstruktion im Bauwesen gegenüber anderen Begriffen wie Wiederaufbau:

Zur Diskussion in Deutschland nach 1945:

Zur aktuellen Diskussion um die Legitimität der Rekonstruktion in der Architektur:

Einzelnachweise

  1. Dankwart Guratzsch: Architektur: Dürfen wir eigentlich Gebäude kopieren? In: welt.de. 3. August 2010, abgerufen am 9. Januar 2024.
  2. Sabina Schroeter: Die Sprache der DDR im Spiegel ihrer Literatur. Band 2, de Gruyter, 1994, ISBN 3-11-013808-5, S. 60, 115, 118.
  3. Mörsch, 1989.
  4. a b c d e Rekonstruktion in Architektur und Denkmalpflege. In: Restauratoren-Netzwerk. Abgerufen am 22. Dezember 2023.
  5. Maaß, S. 584.
  6. Daniel Buggert: Verteidigung der Baugeschichte gegen ihre Liebhaber. In: archimaera. Heft 2/2009.
  7. Baukulturbericht 2018/19 „Erbe – Bestand – Zukunft“, S. 170 (PDF)
  8. Basilica Papale - San Paolo fuori le Mura - Un pò di storia. In: vatican.va. 30. Mai 2005, abgerufen am 9. Januar 2024 (italienisch).
  9. it.custodia.org (toter Link)
  10. Bomb damage. In: parliament.uk. Abgerufen am 9. Januar 2024 (englisch).
  11. This Medieval Walled Town with a Storied History Shows How Traditional Urbanism Can Support High Density, Englischsprachig, ArchDaily, 15. Februar 2018.
  12. Léon Pressouyre: Merveilles médiévales. In: Les cahiers de science et vie. Nr. 91 (Themenheft: Sept merveilles pour faire un monde) 2006, ISSN 1157-4887, S. 78–81. Gabi Dolff-Bonekämper: Mostar. Un pont suspendu dans l’histoire. In: Les cahiers de science et vie. Nr. 91 (Themenheft: Sept merveilles pour faire un monde) 2006, ISSN 1157-4887, S. 100–103.
  13. Decision – 29COM 8B.49 – Nominations of Cultural Properties to the World Heritage List (The Old Bridge area of the Old City of Mostar)
  14. Baugeschichte. In: FÖRDERVEREIN BERLINER SCHLOSS E.V. Abgerufen am 22. Dezember 2023.
  15. a b Stadtschloss bis Humboldt Forum: Die Geschichte von Abrissen und Neubauten. In: TipBerlin. Abgerufen am 22. Dezember 2023.
  16. Halles Altes Rathaus - Wir über uns. In: halles-altes-rathaus.de. Bürgerinitiative Historische Rathausseite Halle (Saale) e. V., abgerufen am 9. Januar 2024.
  17. Prezydent podpisał deklarację o restytucji Pałacu Saskiego. In: prezydent.pl. 11. November 2018, abgerufen am 9. Januar 2024 (polnisch).
  18. vgl. Artikel „Notre-Dame de Paris“ in der englischsprachigen Wikipedia
  19. Home | Mercatorhaus. In: mercator.haus. Abgerufen am 9. Januar 2024.
  20. Die Spitze des Langen Franz – Brückenbauverein Frankfurt. In: brueckenbauverein-frankfurt.de. 1. Oktober 1912, abgerufen am 9. Januar 2024.
  21. Konzept für Bauakademie in Berlin verabschiedet. In: Tagesspiegel. 30. Mai 2023, abgerufen am 29. Oktober 2023 (deutsch).
  22. Maic Masuch, Bert Freudenberg: Pfalz. Institut für Simulation und Graphik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, abgerufen am 18. Februar 2008.
  23. Virtuelle Rekonstruktion Aula regia. Forschungsstelle Kaiserpfalz Ingelheim, abgerufen am 18. Februar 2008.
  24. Synagogen in Deutschland: Eine virtuelle Rekonstruktion. Technische Universität Darmstadt / Architectura Virtualis, abgerufen am 11. April 2022.
  25. Interaktives 3D-Modell des Zwangsarbeiterlagers. In: Projekt „NS-Zwangsarbeit in Berlin“. Berliner Geschichtswerkstatt e. V., abgerufen am 6. Juni 2008.
  26. Rainer Haubrich: Berliner Schloss: Die notwendige Rekonstruktion folgt dem Zeitgeist. In: welt.de. 11. Juni 2013, abgerufen am 18. Oktober 2021.
  27. a b Winfried Nerdinger: Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte. Prestel, München 2010, ISBN 978-3-7913-5092-9, S. 10.
  28. Winfried Nerdinger: Architektur - Freiheit oder Fatalismus, Prestel, München 1998, ISBN 978-3-7913-2017-5, S. 75.