Politik im Freien Theater ist ein von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) veranstaltetes Theaterfestival. Es existiert seit 1988 und findet seit 1993 im Drei-Jahres-Rhythmus in wechselnden deutschen Städten statt; bisher in Bremen, Dresden, Berlin, Hamburg, Stuttgart, Köln und Freiburg. Gezeigt werden Produktionen der Freien Theaterszene, die sich mit unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen. Zu jedem Festival gehört ein breit gefächertes Rahmenprogramm.

Geschichte

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Hervorgegangen ist „Politik im Freien Theater“ aus den Diskussionen im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts um Positionen, Schwerpunkte, Methoden und Zielgruppen der politischen Bildung. Insbesondere die Handlungsorientierung sollte die Methoden politischer Bildung erweitern oder zumindest ergänzen, daher orientierte man sich unter anderem am Medium Theater. Die deutschen Stadt- und Staatstheater waren Ende der achtziger Jahre jedoch ein nur wenig geeigneter Partner für die politische Bildung. Es war für den Zuschauer häufig nicht mehr entschlüsselbar und schien sich nur noch mit sich selbst zu beschäftigen. Gegen diesen Trend versuchte sich die Freie Theaterszene zu profilieren, indem sie sich stärker an der Lebenswelt des Publikums ausrichtete und deutliche politische und soziale Akzente setzte. Gestärkt wurden die Freien Theater schließlich durch Bürgerinitiativen und neuentstandene soziale und ökologische Bewegungen. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee zum Festival „Politik im Freien Theater“, das die Bundeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Bremen 1988 zum ersten Mal ausrichtete, ab 1993 dann als Triennale durchführt. Bewerben können sich Städte ab einer Einwohnerzahl von 220.000.

Bremen 1988

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Vom 23. September bis 2. Oktober 1988 fand in Kooperation zwischen Bundeszentrale und Landeszentrale für politische Bildung in Bremen das 1. Festival „Politik im Freien Theater“ statt. Laut Programmheft war es Ziel der Bundeszentrale, „[…] Impulse zu geben, Stücke mit starkem politischem Charakter engagiert aufzunehmen, sich schriftstellerisch wieder mit politischen Themen auseinanderzusetzen und dabei möglichst hohe Qualität anzubieten, die den Zuschauer in die Spielstätten lockt.“ Und es hieß weiter: „Aus Sicht politischer Bildung ist es natürlich ein besonderes Anliegen, Theater ähnlich wie Film als attraktiven Ansatzpunkt für die Diskussion politischen Geschehens zu verstehen, um somit Offenheit für andere Maßnahmen politischer Bildung zu erzeugen.“[1] Dieser Anspruch stand jedoch im Widerspruch zur Wirklichkeit. Das in mehrerer Hinsicht noch diffuse Profil des Festivals erforderte deshalb einen internen Klärungsprozess unter Einbeziehung von Experten, so dass die Bundeszentrale erst nach fünf Jahren wieder mit „Politik im Freien Theater“ an die Öffentlichkeit trat.

Dresden 1993

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Die Entscheidung zur Fortsetzung des Projekts fand auch auf dem Hintergrund des Prozesses der Wiedervereinigung Deutschlands statt. Schnell entstand der Entschluss „Politik im Freien Theater“ in einem der neuen Bundesländer zu veranstalten. Auch wenn es nur eine spärliche Freie Theaterszene im Osten gab, erhoffte die bpb doch über das Festival viele Zuschauer direkt ansprechen zu können. Für Dresden als Austragungsort sprachen dabei zwei Gründe. Erstens war Dresden – von Berlin einmal abgesehen – die einzige Stadt, die in den neuen Bundesländern bereits 1990 eine Freie Theaterszene besaß. Andererseits hatte Dresden den Ruf erworben, eine Hochburg des erstarkenden Rechtsradikalismus zu sein. Gerade aufgrund der Kollision einer lebendigen Freien Theaterszene auf der einen Seite und dem neuen Rechtsradikalismus auf der anderen, entschied sich die bpb für Dresden. Das 2. Festival „Politik im Freien Theater“ fand dort schließlich vom 28. Oktober bis 7. November 1993 statt.

Bremen 1996

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Das 3. Festival fand vom 15. bis 24. November 1996 in Bremen statt und geschah auf dem Hintergrund einer sich verändernden Theaterlandschaft: Schon länger wirkten sich ökonomische Probleme nachhaltig auf die Produktionen aus. Die Finanzknappheit in den Gemeinden, wie die massiven Sparmaßnahmen in den Kulturetats traf die Freie Theaterszene stark. In Ostdeutschland war dadurch die Zahl Freier Theater nach einem euphorischen Anstieg in den Jahren der Wiedervereinigung drastisch zurückgegangen. Aber auch in den etablierten und traditionsreichen westdeutschen Theatern hinterließen die wirtschaftlichen Zwänge Spuren. In dieser Situation kam dem Festival „Politik im Freien Theater“ eine stabilisierende Wirkung zu.

Stuttgart 1999

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Das 4. Festival in Stuttgart vom 17. bis 27. November 1999 gestaltete sich als Plattform für junge Regisseurinnen und Regisseure, die auf dem Sprung in die Stadt- und Staatstheater waren. Zugute kam ihnen dabei, dass in diesen der Bedarf an Nachwuchskräften groß war. Zu lange hatten deutsche Theaterregisseure versäumt den Nachwuchs zu fördern. Eine Auffrischung erhoffte man sich von Regietalenten aus dem Freien Theater. Zum ersten Mal galt es als Vorhof des Stadttheaters. „Politik im Freien Theater“ erzeugte den Eindruck einer Bühne auf der sich junge Regisseure präsentieren konnten. Inhaltlich hatte die Beschäftigung mit politischen und sozialen Themen deutlich zugenommen. Dafür gab es verschiedene Gründe. Gesellschaftliche und soziale Widersprüche waren immer sichtbarer geworden, genauso wie das Bedürfnis nach öffentlicher Auseinandersetzung. Theater, das sich mit politischen Stoffen befasste, wurde damit wieder „salonfähig“.

Hamburg 2002

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Zentrales Thema des 5. Festivals war die Mobilmachung aller Energien des flexiblen, perfekt funktionierenden, zu jeder Zeit verfügbaren Menschen und Arbeit und Arbeitslosigkeit, damit also die schöne neue Welt der New Economy und der stetig wachsende Drang nach höherer Flexibilität. Ein neuer Aspekt des vom 22. Oktober bis zum 2. November 2002 stattfindenden Festivals war die stärker gewordene Rolle von Frauen in der Theaterlandschaft. Gegenüber den Vorjahren hatte die Zahl von Regisseurinnen erheblich zugenommen. Eine weitere Veränderung im Theater zeigte sich durch die allmähliche Vernetzung des Freien und des Stadt- und Staatstheater, die einst als feindliche Brüder galten. Durch die Annäherung wurden freien Projekten bessere Produktionsmöglichkeiten und damit letztlich eine höhere Qualifizierung der künstlerischen Arbeit ermöglicht. Der Gewinn für die Staats- und Stadttheater lag in der relativ kostengünstigen Bereicherung des Spielplanangebots, größerer künstlerischer Vielseitigkeit und der Bindung neuer Publikumsschichten.

Berlin 2005

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Das 6. Festival in Berlin vom 10. bis 20. November 2005 brachte eine weitere Neuerung: Es ging nicht mehr länger um eindeutig politisch-soziale Themen, sondern bot auch anderen Projekten Platz. Einen Schwerpunkt bildeten grenzüberschreitende Formen, d. h. künstlerischen Projekte zwischen Performance, Theater, Bildender Kunst, Musik, und direkter politischer Aktion.

Köln 2008

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Das 7. Festival „Politik im Freien Theater“ fand vom 13. bis zum 23. November 2008 in Köln unter dem Motto „Echt! Politik im Freien Theater“ statt. Es umfasst 17 freie Inszenierungen in den drei verschiedenen Kategorien „Deutschsprachig“, „International“ und „Made in Köln“. Letztere widmet sich thematisch den Kölner Bürgern, dem Stadtraum und seiner Geschichte. Stilistisch wurde die Orientierung an der Überschreitung klassischer Theater-Formen vertieft. Durch das Leitmotiv „Echt!“ soll der traditionelle Theaterbegriff in Frage gestellt werden. Die Theatergruppen arbeiten mit so genannten „Komplizen“, nicht ausgebildeten Performern, und holen so das „echte“ Leben ins Theater[2]; oder die Theater verlassen ihre Säle und spielen im öffentlichen Raum. Oft nimmt auch der Zuschauer eine andere, aktivere Rolle ein. Dabei wird den Fragen nachgegangen: Wie viel Authentizität kann man dem vermeintlich „Echten“ zugestehen? Wie viel konstruierte Wirklichkeit lässt sich im „Realen“ finden?

Dresden 2011

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Das 8. Festival „Politik im Freien Theater“ fand in Kooperation mit dem Staatsschauspiel Dresden und Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste vom 27. Oktober bis zum 6. November 2011 zum zweiten Mal in Dresden statt. Spielstätten waren, neben dem Schauspielhaus Dresden und dem Festspielhaus Hellerau, das Japanische Palais, der Terminal des Flughafens Dresden, der Jorge-Gomondai-Platz, das Deutsche Hygiene-Museum, die Centrum-Galerie, das Militärhistorische Museum der Bundeswehr und das Filmtheater Schauburg.

Unter dem Motto „Fremd“ wurden insgesamt 16 Stücke, bestehend aus elf Produktionen aus dem deutschsprachigen Raum und fünf Inszenierungen aus dem internationalen Raum, eingeladen. Das Motto behandelte die Unsicherheit, die das Fremde häufig auslöst. Die Gastspiele setzten sich mit der Vielfältigkeit des Unbekannten auseinander und zeigten, dass auch in vermeintlich Vertrautem Ungewohntes verborgen sein kann. Filme, Shows und Kunstprojekte beleuchteten neue Aspekte und Facetten des Fremden. Insgesamt sahen sich mehr als 10.000 Zuschauer das elftägige Theaterfestival an. Neben den Gastspielen bildeten Ausstellungen, Konzerte, Vorträge, Performances und Veranstaltungen für Schüler und Lehrkräfte das Rahmenprogramm des Festivals, in denen weitere Aspekte des Fremden auf verschiedene Weisen beleuchtet und auf gesellschaftspolitischer Ebene diskutiert wurden.

Wettbewerb

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Von Beginn an trug das Festival Wettbewerbscharakter. Auf Vorschlag einer unabhängigen Fachjury vergibt die Bundeszentrale Preisgelder in unterschiedlicher Höhe; seit dem 4. Festival in Stuttgart 1999 zeichnete 3sat, später dann der ZDFtheaterkanal als Sonderpreis eine der eingeladene Produktionen in voller Länge auf. Seit 2006 werden zwei Geldpreise verliehen. Die Bundeszentrale vergibt als Zuschuss für eine Gastspieltournee im deutschsprachigen Raum einen Preis in Höhe von 15.000 Euro. Prämiert wird seither die „beste“ Produktion des Festivals. Das Goethe-Institut vergibt als Zuschuss für ein Gastspiel im Ausland einen Preis in Höhe von 10.000 Euro für die beste Inszenierung aus Deutschland. Der Wettbewerb war allerdings immer umstritten und die Vergabe von Preisgeldern von heftigen, in der Öffentlichkeit ausgetragenen Kontroversen begleitet. Zur Juryentscheidung in Dresden 1993 war u. a. zu lesen: „Eine Schräglage Ost, belohnte Aufbau- oder Aufbruchstimmung in den neuen Bundesländern […] Wenn im Wettbewerb weniger um die Palme als um einen Platz an den Fleischtöpfen gerungen wird, wenn Befriedigung von Grundbedürfnissen vor gerechter Bewertung kursiert, dann verlieren schließlich alle dabei.“[3] Das 3. Festival 1996 endete sogar „im Eklat“ zwischen Veranstaltern und Jury: „Die ausgeschriebenen Preise wurden kurzerhand umverteilt, was so manchen verärgerte […] Im geheimen mag der eine oder andere sich überlegt haben, ob nicht besser die Jury abzuschaffen sei. Es paßt halt nicht alles zusammen.“[4] Und: „Kann eine Jury unter dem Vorsitz des 69jährigen Theater heute-Gründers Henning Rischbieter irren? Sie kann.“[5] Der Preisträger des Berliner Festivals 2005, das Theater Basel, wies unter Verweis darauf, dass es kein Freies Theater sei, die Preisgelder zurück: „Wir verstehen diese Auszeichnung als Wertschätzung einer Zusammenarbeit, in der Grenzen zwischen Arbeitsweisen sowie inhaltlichen Ansätzen von Stadttheatern und der freien Szene fließend werden […] Der Preis der Bundeszentrale für politische Bildung ist zur Förderung einer Gastspieltour einer freien Gruppe in freien Häusern gedacht. Das Theater Basel ist kein solches und will für seine Gastspiele keine Gelder aus der freien Szene beanspruchen. Der Ansatz von Häusern wie dem Theater Basel, mit Entdeckungen und Talenten aus der freien Szene zu arbeiten, ist nur möglich, solange es diese gibt und solange sie entsprechend gefördert wird. Deshalb möchten wir die Bundeszentrale für politische Bildung bitten, die mit dem Preis verbundene finanzielle Unterstützung nicht als Zuschuss für die Gastspieltournee von 'Mnemopark', sondern für die Förderung der freien Szene zu verwenden.“[6] Während des 7. Festivals in Köln zog nach der niederländischen Gruppe Hotel Modern auch das Schweizer Theater 400asa sich aus dem laufenden Wettbewerb zurück, die Bedenken in einem Offenen Brief an die Festivalleitung formulierend,[7] in dem es u. a. heißt: „Der Hype um den Sieger, die Unterordnung unter Entscheide von Experten, das Akzeptieren der angeblichen Realität, dass es in jedem Bereich des Lebens 'Sieger' und 'Verlierer' geben muss […] genau solche Realitätsdefinitionen suchen wir aber an einem solchen Festival nicht.“

Literatur

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Einzelnachweise

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  1. Sabine Berthold, Holger Ehmke (Red.): Programmheft zum 1. Festival „Politik im Freien Theater“. Hrsg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1988, S. 4.
  2. Vgl. hierzu auch Richard Weber: Auf der Suche nach dem „wirklichen“ Leben. Politisches Theater zu Beginn des 21. Jahrhunderts. In: Korrespondenzen – Zeitschrift für Theaterpädagogik. Heft 53, 2008, S. 41–46.
  3. Wilhelm Triebold: Das Notwendige und das Überflüssige. Schräglage Ost: (Kultur-)Politik ums Off-Theater – Ein Festival in Dresden. In: Südwest-Presse, 11. November 1993
  4. Susanne Raubold: Verregnete Schuhe. In: Das Sonntagsblatt. Hamburg, 29. November 1996.
  5. Christoph Köster: Ein Streit. In: taz. Bremen, 25. November 1996.
  6. Pressemeldung des Theater Basel vom 29. November 2005
  7. Vgl. https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&task=view&id=2051&Itemid=84