Ohren in Architektur, Möbeltischlerei und Rahmenmacherei. – 1 Bilderrahmen mit verkröpften Ohren, 2 Tür mit verkröpften Ohren, 3 Tür mit verkröpftem Ohr, 4 Schrank mit geohrtem Rahmen

Als Ohren oder Ohrung bezeichnet man in der Architektur und im Kunsthandwerk den oben seitlich überstehenden Teil von Tür- und Fensterumrahmungen[1], aber auch von Möbeln, Täfelungen, Bildern und Spiegeln. Rahmen mit solchen Ohren sind geohrt.

Übersicht

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Dreifach verkröpfte Rahmenecke mit den Gehrungen 1–3.
Man unterscheidet folgende Arten von Ohren in der Architektur, der Möbeltischlerei und der Rahmenmacherei:

Verkröpfungen entstehen durch das Abwinkeln eines Profils an Gehrungen (Eckverbindungen), so dass das Profil vor- oder zurückspringt.[2] In der Abbildung wird das Profil zuerst an Gehrung 1 nach links abgewinkelt, dann an Gehrung 2 nach oben und schließlich an Gehrung 3 nach rechts, so dass die Ecke durch das entstehende Ohr wieder geschlossen wird.

Begriffe

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Im Deutschen haben sich die Bezeichnungen Ohr und geohrt durchgesetzt, während Ohrung nur selten verwendet wird. Die Bezeichnungen Eckzierde[3] oder Eckenzierde[4] sind veraltet. Bei Bilderrahmen mit verkröpften Ohren wird auch der Begriff Eckwürfel benutzt, der sich aus der Konstruktion geohrter Rahmen herleitet.[5]

Sprache Fachbegriff
Deutsch Ohr, Ohrung
Englisch ear,[6] crossette[7]
Französisch crossette, oreillon
Italienisch orecchio[8]

In der Architekturtheorie der Barockzeit galten die Begriffe Crossette, Eck-Zierde und Zancke. Im „Lexicon Architectonicum“ (1744) von Johann Friedrich Penther heißt es: „(...) sind Verkröpffungen oder nach rechten Winckeln gebrochene Einfassungen an Fenstern und Thüren . (...) Scamozzi nennt sie Italiän. Zanche, wovon wohl das in der Aussprache völlig übereinstimmende Deutsche Wort Zancke herkommt, welches man braucht bey Einfassungen, die auf und absteigende Spitzen hat, daß man sagt die Einfassung hat Zancken.“[9]

Oskar Mothes kritisierte 1882, dass Crossettes (Ohrungen): „in der Zopfzeit aber an allen Ecken (...) in höchst sinnloser Weise angebracht“ worden seien.[10]

Fenster und Türen

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Bei Fenstern und Türen unterscheidet man zwischen überstehenden und verkröpften Ohren. Überstehende Ohren sind die Teile des Sturzes, die seitlich über die Pfosten hinausragen, die oberen Ohren (Bild 1–4), desgleichen die überstehenden Enden von Fensterbänken und Türschwellen, die unteren Ohren (Bild 5).[11] Durch Verkröpfung der Ecken von Fenster- und Türumrahmungen[12] entstehen ebenfalls Ohren.

Früher galt nach Oskar Mothes (1883) auch „der unbearbeitete Theil bei Thür- und Fensterstürzen und Bänken, der in der Mauer besfestigt wird,“[13] als ein Ohr (Bild 7).

Möbel, Täfelungen und Rahmen

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Ohren an Rahmenecken von Möbeln, Täfelungen, Bilder- und Spiegelrahmen können angesetzt (Bild 6–7) oder verkröpft (Bild 8–10) sein. Angesetzte Ohren werden durch das Ansetzen von Winkelstücken an den Rahmenecken gebildet.

Geschichte

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Dieser Abschnitt befasst sich mit der Geschichte der Ohren in der Architektur.

Griechische Antike

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In der griechischen Antike konnten Fenster und Türen mit verkröpften (Bild 11, 13, 14) oder überstehenden Ohren (Bild 12, 15) an Sturz, Fensterbank und Schwelle verziert sein.[14] Nach Vitruv wurden bei dorischen Türen „am Sturze .. zur Rechten und Linken Vorsprünge gebildet“.[15] Die von Vitruv als Parotides (Ohrläppchen) bezeichneten Konsolen (Bild 11, Fig. 2, Teil f), die bei ionischen Türen und Fenstern Sturz und Fries flankieren, werden nicht als Ohren bezeichnet.[16]

Römerzeit und Romanik

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Nach Eugène Viollet-le-Duc hatten die römischen und die romanischen Fenster (Bild 17) und Türen über die Pfosten hinausragende, überstehende Ohren an den Querriegeln unter dem Sturz und über der Fensterbank bzw. Schwelle.[18] Diese Art der Ohrung findet sich auch in späteren Jahrhunderten wieder (Bild 18),[19] teilweise sind die Ohren zusätzlich an anderen Stellen der Umrahmung angebracht, oft in der Mitte der Laibung[20] oder auch ganz unregelmäßig.[21]

Neuzeit

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Die Renaissance, die auch das Ohrenornament wieder aufgriff (Bild 19, 20) und in der Hochrenaissance das Motiv in vielfachen Abwandlungen einsetzte, verwendete nicht nur seitliche (obere und untere), sondern auch nach oben gerichtete und nach unten herabhängende Ohren. Rudolf Redtenbacher unterscheidet in seinem Werk über die Architektur der italienischen Renaissance fünf Varianten („Motive I-V“) für die Anordnung der Ohren.[22]

In der einschlägigen Fachliteratur fehlt es an monographischen Arbeiten über Ohren in der Architektur, so dass generelle Aussagen über Ohren in den Stilepochen der Neuzeit nicht möglich sind. Offensichtlich findet jedoch das Ohrmotiv auch in den Stilepochen nach der Renaissance bis zum Historismus[23] und Jugendstil[24] am Ende des 20. Jahrhunderts vielfachen Einsatz.

Literatur

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Allgemein

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Geschichte

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Commons: Ohr (Ornament) – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten

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  1. Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 15. Juni 2024), S. 344: Ohr.
  2. #Krauth 1902, S. 48.
  3. Oscar Mothes: llustrirtes Bau-Lexikon, Band 2: C bis G. Leipzig 1882, S. 197: Eckzierde. (Digitalisat)
  4. #Krünitz 1785.
  5. #Schmitz 2009, z. B. S. 54.
  6. #Koepf 2005, S. 345.
  7. Merriam Webster’s Revised Unabridged Dictionary, 1913.
  8. #Koepf 2005, S. 345.
  9. Johann Friedrich Penther: Ausführliche Anleitung zur bürgerlichen Bau-Kunst, Band 1: Enthaltend ein Lexicon Architectonicum oder Erklärungen der üblichsten Deutschen, Französischen, Italiänischen Kunst-Wörter der Bürgerlichen Bau-Kunst. Augspurg 1744, S. 48: Crossettes. (Digitalisat)
  10. Oscar Mothes: Illustrirtes Bau-Lexikon, Band 2: C bis G. Leipzig 1882, S. 78: Crossette. (Digitalisat)
  11. #Durm 1903, #Mothes 1868.
  12. #Mothes 1863.
  13. Oscar Mothes (Hrsg.): Illustrirtes Bau-Lexikon, Band 3: H bis P. Leipzig 1883, S. 468. (Digitalisat auf digi.ub.uni-heidelberg.de, abgerufen am 3. Februar 2024)
  14. #Durm 1881, S. 58, 165, #Durm 1885, S. 265.
  15. Vitruv IV 6,2, siehe Durm 1865, S. 117.
  16. Vitruv IV 6,4, siehe Durm 1865, S. 118.
  17. Richard Delbrueck: Hellenistische Bauten in Latium. Band 2. Trübner, Strassburg 1912, S. 19 Abb. 18 (Textarchiv – Internet Archive)
  18. #Viollet-le-Duc 1861
  19. Siehe z. B. auch Datei:Alzeyer-Schloss-10.JPG, Datei:Landeck Burgruine 11.jpg, Datei:Rundbogenfenster Eppelheim.JPG.
  20. Siehe z. B.: Datei:Landeck Burgruine 11.jpg.
  21. Siehe z. B.: Datei:Orange (8114228451).jpg.
  22. #Durm 1903, S. 243, #Redtenbacher 1886, S. 324–325.
  23. Beispiel: Wärterwohnhaus des Garnisonsschützenhauses in Stuttgart im Schweizerstil (Datei:Garnisonsschützenhaus, 016.jpg).
  24. Beispiel: Oberbilker Allee 327 und 329 in Düsseldorf-Oberbilk (Datei:Haeuser Oberbilker Allee 327 und 329 in Duesseldorf-Oberbilk, von Norden.jpg).