Film | |
Titel | No Other Land |
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Produktionsland | Staat Palästina, Norwegen |
Originalsprache | Arabisch, Hebräisch, Englisch |
Erscheinungsjahr | 2024 |
Länge | 95 Minuten |
Stab | |
Regie | Basel Adra Hamdan Ballal Yuval Abraham Rachel Szor |
Produktion | Fabien Greenberg Bård Kjøge Rønning |
Musik | Julius Pollux Rothlaender |
Kamera | Rachel Szor |
Schnitt | Basel Adra Hamdan Ballal Yuval Abraham Rachel Szor |
No Other Land ist ein palästinensisch-norwegischer Dokumentarfilm unter der Regie von Basel Adra, Hamdan Ballal, Yuval Abraham und Rachel Szor aus dem Jahr 2024. Der Debütfilm hatte im Februar 2024 auf der Berlinale seine Weltpremiere in der Sektion Panorama und wurde mit dem Berlinale Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet. Nach dem Eklat der documenta fifteen löste der Auftritt der Filmemacher bei der Preisverleihung eine weitere Diskussion um Antisemitismus in der deutschen Kulturszene aus.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der junge palästinensische Aktivist Basel Adra aus Masafer Yatta, einer Sammlung von kleinen Dörfern südlich von Hebron im Westjordanland.[1] Die Häuser der Palästinenser sollen einem israelischen Truppenübungsplatz weichen. Mit Bulldozern reißt die Armee darum Gebäude ab.
Zusammen mit dem israelischen Journalisten Yuval Abraham und seiner Kollegin Rachel Szor sowie dem palästinensischen Fotografen Hamdan Ballal filmt Basel die Zerstörungen und den Protest der Dorfbewohner dagegen. Auch Gewalttaten einzelner extremistischer israelischer Siedler und der israelischen Armee werden thematisiert.
Bei diesem Debütfilm führten Basel Adra, Hamdan Ballal, Yuval Abraham und Rachel Szor Regie und waren auch für den Schnitt zuständig, Rachel Szor darüber hinaus für die Kameraführung.[2] Die Musik komponierte Julius Pollux Rothlaender.
Die Arbeiten an dem Film begannen 2018 und endeten kurz vor dem 7. Oktober 2023.[3] Dem Epilog wurde eine von Ende Oktober 2023 stammende Aufnahme hinzugefügt, die zeigt, wie ein Cousin Adras von einem israelischen Siedler erschossen wird.[3]
Produziert wurde der Film von Fabien Greenberg und Bård Kjøge Rønning. Produktionsfirmen waren die palästinensische Yabayay Media und die norwegische Antipode Films.[4]
Der Film hatte im Februar 2024 auf der Berlinale seine Weltpremiere in der Sektion Berlinale Panorama.
Andreas Busche kommentierte im Tagesspiegel:
„Der palästinensisch-israelische Dokumentarfilm ,No Other Land‘ gewährt erschütternde Einblicke in den Alltag im Westjordanland. [...] ,No Other Land‘ will keine Hoffnung spenden. Er bezieht seine Kraft vor allem daraus, wie unumstößlich Basel und Yuval an ihre gemeinsame Form des Widerstands glauben. [...] ,No Other Land‘ ist ein aktivistischer Film, wie sie in der Ära des antiimperialistischen Dritten Kinos in den 1960er Jahren zuhauf entstanden. Er ist parteilich, im Gespräch mit Basel und Yuval fällt immer wieder das Wort ,Apartheid‘ im Zusammenhang mit der Besetzung im Westjordanland. Ein Begriff, den man geraderücken möchte, aber man versteht auch ihre Wut, weil die Erfahrungen von Basel, seiner Familie und den Menschen in Masafer Yatta in der Berichterstattung des Westens kaum vorkommen. Gleichzeitig stimmt die Freundschaft zwischen den fast gleichaltrigen Basel und Yuval über einen Militärgrenzposten hinweg auch vage optimistisch.“[3]
Andreas Scheiner kommentierte in der Neuen Zürcher Zeitung: „Die Brutalität ist schwer erträglich. Ein aufrüttelnder Film, auch handwerklich gut gemacht. [...] Die Dokumentation verstört nicht einfach, sie nimmt emotional mit. [...] Abgedreht wurde ,No Other Land‘ im Oktober 2023, kurz nach dem Massaker der Hamas. Die Attacke wird bloß in einem Satz notdürftig erwähnt, dann zeigt der Film, wie jüdische Siedler sich rächen und ein Dorf in Masafer Yatta überfallen. So nachvollziehbar der Fokus auf das eigene Leid ist: Wenn die Macher es nicht einmal über sich bringen, das Pogrom vom 7. Oktober und die Entführungen anzuklagen, wie will man dann mit ihnen ins Gespräch kommen?“[5]
IndieWire, Variety und andere auf Rotten Tomatoes gelistete Rezensionen bewerteten den Film weitgehend positiv.[6] Guy Lodge nannte den Film in Variety etwa „lebenswichtig“: „Aber das Filmemachen hier ist straff und durchdacht, mit geschicktem Schnitt (von den Regisseuren selbst), der das Gefühl der Zeit einfängt, die gleichzeitig vergeht und sich in sich selbst wiederholt.“ Szenen der palästinensisch-israelischen Konfrontation beschrieb er als „intensiv, erschütternd“.[7]
Auf der Berlinale 2024 wurde No Other Land mit dem Preis als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. Basel Adra und Yuval Abraham nahmen den Preis entgegen.[8] Adra forderte in einer Dankesrede Deutschland unter Bezugnahme auf den Israel-Gaza-Krieg auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern; Palästinenser würden durch Israel „abgeschlachtet“.[9] Anschließend wandte sich Abraham an das Publikum:
„Basel und ich sind im selben Alter, ich bin Israeli, er ist Palästinenser. Und in zwei Tagen werden wir in ein Land zurückgehen, wo wir nicht gleichberechtigt sind. Ich lebe unter Zivilrecht, Basel unter Militärrecht. Wir leben 30 Minuten voneinander entfernt: ich habe das Wahlrecht, Basel nicht. Ich habe die Freiheit hinzugehen, wohin ich will, Basel ist wie Millionen andere Palästinenser eingesperrt in den besetzten Gebieten. Diese Situation von Apartheid zwischen uns, diese Ungleichheit, sie muss enden. Und wir fragen, wie wir einen Wandel erreichen, um die Besatzung zu beenden, um eine politische Lösung zu erreichen.“
In Deutschland entbrannte, im Zuge weiterer pro-palästinensisch und anti-israelischer Vorfälle auf der Berlinale, eine Debatte über Antisemitismus und Israel-Hass. In der Süddeutschen Zeitung wurde die Einseitigkeit der Forderungen Abrahams mit Verweis auf die 130 Geiseln, die sich weiterhin in der Gewalt der Hamas befinden, kritisiert. Der Jury warfen die Autoren Voreingenommenheit bei der Auswahl des Films vor.[10] Berlins regierender Bürgermeister Kai Wegner kritisierte auf X die Reden der beiden Regisseure als eine „untragbare Relativierung“ und antisemitisch und forderte von der Festivalleitung Konsequenzen hinsichtlich zukünftiger Veranstaltungen.[11] Kulturministerin Claudia Roth distanzierte sich später von ihrem Applaus für die Auszeichnung des Films auf der Berlinale und stellte klar, dass ihr Applaus nur dem jüdisch-israelischen Regisseur Yuval Abraham gedient habe, nicht dem palästinensischen Regisseur Basel Adra.[12]
Im öffentlich-rechtlichen israelischen Fernsehen (KAN) wurde Yuval Abrahams Redebeitrag auf der Berlinale als antisemitisch bezeichnet.[13] Die linksliberale israelische Zeitung Haaretz bezeichnete dies als Entsprechung der gegenwärtigen Lage in Israel, in „der Atmosphäre des Verschweigens, der Selbstzensur und der Verfolgung jeder Person, die Kritik am israelischen Regime“ äußere.[13]
„Was ist so beängstigend an Abrahams Worten? In weniger als einer Minute beschrieb er eine Situation, die die meisten Israelis leugnen oder, noch schlimmer, völlig ignorant sind. [...] Abraham spiegelte die Wahrheit wider, wenn es um den Status von Palästinensern wie Basel im Vergleich zu dem der Israelis geht. [...] Kritiker der Besatzung als Antisemiten zu bezeichnen, ist ein Verhaltensmuster, das aus der rechtsextremen Partei Otzma Yehudit und ihren Gleichgesinnten importiert wurde. Gemäß diesem Spielbuch muss jeder, der Kritik an Israels Politik gegenüber den Palästinensern und der Besatzung äußert, sofort als ,Unterstützer des Terrors‘, ,antisemitisch‘ oder ,Judenhasser‘ gebrandmarkt werden.“[13]
Der Botschafter Israels in Deutschland, Ron Prosor, kritisierte die Verantwortlichen der Berlinale nach der Preisverleihung: „Es scheint, dass die Lektion aus der Documenta nicht begriffen wurde. Unter dem Deckmantel der Rede- und Kunstfreiheit wird antisemitische und antiisraelische Rhetorik zelebriert.“[14]
Regisseur Yuval Abraham erhielt nach eigenen Angaben in Reaktion auf die Kritik an seiner Rede auf der Berlinale-Preisverleihung Morddrohungen via sozialen Medien. Er berichtete, seine Familie sei durch israelische Rechtsextremisten zu Hause bedroht worden, weshalb sie ihr Haus verlassen mussten und er nach der Preisverleihung nicht direkt nach Israel zurückkehrte.[12][15] Er sagte:
„Auf deutschem Boden als der Sohn von Holocaust-Überlebenden zu stehen und zu einem Waffenstillstand aufzurufen – und dann als antisemitisch gekennzeichnet zu werden, ist nicht nur empörend, es bringt auch jüdisches Leben in Gefahr. [...] Ich weiß nicht, was Deutschland mit uns versucht. Wenn das die Art ist, wie Deutschland mit seiner Schuld um den Holocaust umgeht, machen sie diese bedeutungslos.“[12]
Internationale Filmfestspiele Berlin 2024