Die Lippe (lateinisch Labium und Labrum, auch Labium oris „Lippe des Mundes“) ist ein stets paarweise vorkommendes Organ am Mund des Menschen und vieler Tiere (dort oft als Lefze bezeichnet). Die beiden Lippen sind weich, wulstig und sehr beweglich und dienen primär der Nahrungsaufnahme und als Tastorgan für aufgenommene Gegenstände.

Schematische Darstellung der Lippen des Menschen

Anatomische Grundlagen der Lippe des Menschen

Musculus orbicularis oris (rot umrandet), die fleischige Grundlage der Lippen

Man unterscheidet Ober- (Labium superius) und Unterlippe (Labium inferius), wobei die Unterlippe meist etwas größer ist. Die obere Grenzlinie des Lippenrots mit der geschwungenen Einbuchtung in der Mitte wird Amorbogen, auch Kupidobogen oder Lippenherz, genannt. Oft wird unter den Lippen fälschlich nur das Lippenrot verstanden. Die beiden Lippen begrenzen die Mundspalte.

An den Innenseiten beider Lippen gibt es eine kleine Schleimhautfalte zur Mundschleimhaut, das Lippenbändchen (Frenulum labii superioris bzw. inferioris). Die fleischige Grundlage der Lippen bildet der Musculus orbicularis oris, die Bewegungen der Lippen werden durch weitere Anteile der mimischen Muskulatur unterstützt. Zwischen Amorbogen und Nase liegt das Philtrum, eine vertikale Vertiefung in Form einer „Rinne“, die unterschiedlich tief ausgeprägt sein kann. Das Philtrum stößt am oberen Ende an den Nasensteg (lat. Columella „Säulchen“) und bildet mit diesem den nasolabialen Winkel, der eine durchschnittliche Weite von 90–95 Grad bei Männern und 100–105 Grad bei Frauen aufweist.

Die Haut der Lippe ist beim Menschen mit drei bis fünf Zellschichten im Vergleich zu den bis zu 16 Zellschichten der übrigen Gesichtshaut sehr dünn. Bei heller Hautfarbe enthält die Lippenhaut keine Melanozyten (Pigment-Zellen, die die Haut dunkel färben). Dadurch scheint das Blut der darunter liegenden Blutgefäße stärker hindurch als bei der restlichen Gesichtshaut und führt zu einer deutlichen Rotfärbung der Lippen. Bei dunklerer Hautfarbe ist dieser Effekt weniger deutlich, denn hier ist auch die Lippenhaut mit Melanin durchsetzt und dadurch optisch dichter.

Die Lippenhaut ist nicht behaart und verfügt auch nicht über Schweiß- und nur vereinzelt über Talgdrüsen. Somit besitzt sie auch nicht den für die übrige Körperhaut des Menschen üblichen Hydro-Lipid-Film, eine Schutzschicht aus Schweiß und Talg, der die Haut geschmeidig hält und Krankheitserreger abtötet. Die Lippenhaut trocknet deshalb schneller aus und wird leichter spröde.

Die Blutversorgung erfolgt über die Arteria labialis inferior (Unterlippe) und Arteria labialis superior (Oberlippe), die beide aus der Gesichtsarterie entspringen.

Kompetente und inkompetente Lippen

Kieferorthopäden unterscheiden kompetente Lippen, die den Mund in entspanntem Zustand versiegeln, von inkompetenten Lippen, die im entspannten Zustand den Mund nicht oder nicht vollständig verschließen. Es wird vermutet, dass inkompetente Lippen negative Auswirkungen auf die Zahn- und Kiefergesundheit haben, da bei vielen Tätigkeiten – beispielsweise beim Kauen – überdurchschnittlich hohe Muskelanspannung nötig ist, um den Mund zu verschließen; einige speziellere Beispiele werden weiter unten beschrieben.

Funktionen der Lippe

Nahrungsaufnahme

Die Lippen sind durch ihre eigene Muskelgrundlage und angrenzende Muskeln des Gesichtes sehr beweglich und werden bei der Nahrungsaufnahme verwendet, um Speisen festzuhalten oder in den Mund hinein zu befördern. Zudem dienen die Lippen dazu, den Mund luftdicht zu verschließen und so Nahrung und Speichel im Inneren zu halten oder unerwünschte Objekte auszusperren. Durch Bilden eines schmalen Trichters mit den Lippen wird die Saugkraft des Mundes erhöht. Das ist unerlässlich bei der saugenden Nahrungsaufnahme – etwa beim Säugen – und bildet auch das Funktionsprinzip des Trinkhalms.

Eine inkompetente Unterlippe ist im Gegensatz zu einer kompetenten beim Kauen stets stark angespannt; einige Mediziner schließen, dass sich daraus negative Auswirkungen auf die Kaubewegung und damit auch auf die Kiefergesundheit ergeben könnten.

Lokale Betäubung zur Behandlung von Zähnen kann zeitverzögert vorübergehend zu Gefühllosigkeit und Funktionsschwäche der Lippen beim Ausspülen des Mundes mit Wasser führen.

Tastorgan

Die Lippe weist viele Nervenenden auf und reagiert als Teil des Tastsinns sehr empfindlich auf Berührungen, Wärme und Kälte. Sie ist daher für Kleinkinder ein wichtiges Hilfsmittel zur Untersuchung unbekannter Gegenstände. Die Vielfältigkeit der vermittelten Sinneseindrücke zeigt sich auch beim Küssen.

Lautbildung

Die Lippen dienen zur Bildung verschiedener Laute – hauptsächlich den labialen, bilabialen und labiodentalen Phonen – und bilden dadurch einen wichtigen Teil des Sprachapparates des Menschen. Auf der Lautbildung mit den Lippen baut das Lippenlesen auf, das Erkennen von gesprochener Sprache allein durch Beobachten der Lippenbewegungen des Sprechers. Darüber hinaus ermöglichen die Lippen das Pfeifen und das Spielen von Blasinstrumenten wie Trompete und Flöte.

Mimik

Lächeln

Beim mimischen Ausdruck von Gefühlen nehmen die Lippen als sichtbare Umrandung des Mundes eine herausragende Stellung ein. Die Abbildung eines Lippenpaares ohne Gesicht genügt in vielen Fällen, um den Gesichtsausdruck eines Menschen zu erraten: So sind etwa hochgezogene Mundwinkel meist ein Anzeichen für Freude, gerade oder herabgezogene Mundwinkel ein Anzeichen für Trauer. Diese Tatsache bildet die Grundlage einfacher Zeichnungen von Kleinkindern und Piktogrammen wie Smileys und Emoticons. Die ganze Bandbreite möglicher Gesichtsausdrücke allein durch die Lippenstellung wird deutlich in künstlerischen Formen wie Porträts und Comics und in psychologischen Untersuchungen von Emotionen und Körpersprache.

Gestik

Mit den Lippen, dem Mund sind im Zusammenspiel mit Fingern, Händen auch zahlreiche Gesten ausdrückbar:

Erogene Zone

Die Lippen bilden aufgrund ihrer hohen Nervendichte eine erogene Zone.[1]

Schöne Lippen können die sexuelle Attraktivität eines Menschen steigern. Ob Lippen schön sind, ist neben einer symmetrischen Form und einem gesunden Aussehen insbesondere davon abhängig, wie voll sie sind: Je voller die Lippen, desto schöner werden sie von vielen empfunden.[2] Eine Lippe ist umso voller, je größer ihr vertikaler Durchmesser ist.

Symbolische Bedeutung

Lippen werden oft als Symbol für Sinnlichkeit angesehen. Dies hat vielfältige Ursachen, unter anderem, dass sie als Tastorgane besonders empfindlich sind und sich angenehm weich anfühlen. Darüber hinaus sind sie ein Teil des Mundes und übernehmen so einige von dessen symbolischen Verbindungen (siehe z. B. orale Phase der Psychologie nach Sigmund Freud).

Veränderungen der Lippen

Erbliche Besonderheiten und Fehlbildungen

Die folgenden Merkmale kommen häufig vor oder sind besonders bekannt:

Krankheiten

Als Organ des Körpers kann auch die Lippe Krankheitsherd sein oder Symptome einer Krankheit aufweisen:

Verletzungen

Ungewollt oder gewollt treten häufig die folgenden Verletzungen der Lippen auf:

Plastische Chirurgie

Schmuck und Kosmetik

Verschiedene Lippenpiercings

Lippen im Tierreich

Auch die meisten anderen Säugetiere haben Lippen. Hier ein Orang-Utan (Pongo Pygmaeus)

Lippen sind ein typisches Merkmal der Säugetiere (mit Ausnahme der Ursäuger, die Schnäbel besitzen). Vermutlich sind die Lippen durch Evolution gerade bei dieser Klasse von Tieren entstanden, weil sie das Säugen – das gemeinsame Merkmal aller Säugetiere – unterstützen und vereinfachen.

Die Lippen erfüllen im Tierreich ganz ähnliche Aufgaben wie beim Menschen: Sie dienen hauptsächlich der Nahrungsaufnahme und als Tastorgan. Besonders bei Raubtieren unterstützen die Lippen die Mimik. Wenn beispielsweise Hunde die Lefzen (Lippen) nach oben ziehen und so die Zähne entblößen („Zähne blecken“), kann dies Teil einer Drohgebärde sein, die Rivalen abschrecken soll. Bei der Lauterzeugung spielen die Lippen hier aber meist eine untergeordnete Rolle.

Bei Pferden und Rindern sind in der Submukosa der Lippen, insbesondere im Bereich der Mundwinkel, Drüsen, die Lippendrüsen (Glandulae labiales), ausgebildet. Bei Raubtieren und Schafen trägt die Oberlippe eine Lippenkerbe, die sich als Philtrum auf den Nasenspiegel fortsetzt.[3] Bei Katzen liegen zwischen Faszie und Unterlippenschleimhaut am Mundwinkel die tubuloazinären Glandulae molares.[4]

Historische Literatur

Gesundheitsbezogene Themen:

Lippen in der Kunst:

Einzelnachweise

  1. Turnbull O.H., Lovett V.E., Chaldecott J., Lucas M.D.: Reports of intimate touch: Erogenous zones and somatosensory cortical organization. Cortex, 2013 aus S. Wunsch: Role and importance of reinforcement processes in the learning of the reproductive behavior in humans. Dissertationsschrift, EPHE-Sorbonne, Paris 2007.
  2. Gründl, M.: Determinanten physischer Attraktivität – der Einfluss von Durchschnittlichkeit, Symmetrie und sexuellem Dimorphismus auf die Attraktivität von Gesichtern Dissertationsschrift, Universität Regensburg, Regensburg 2011.
  3. Salomon/Geyer/Gille (Hrsg.): Anatomie für die Tiermedizin. Enke Stuttgart. 4. Auflage 2020, ISBN 978-3-13-242675-7, S. 254.
  4. Wörterbuch Veterinärmedizin, 2. Aufl., S. 461.