Kirche Judtschen (Kanthausen)
Kirche in Judtschen nach Wiederaufbau 1925. Skizze nach alter Postkarte
Kirche in Judtschen nach Wiederaufbau 1925. Skizze nach alter Postkarte

Kirche in Judtschen nach Wiederaufbau 1925. Skizze nach alter Postkarte

Baujahr: 1725 bis 1727
Einweihung: 27. April 1727
Stilelemente: Ziegelbau, Holzturm
Bauherr: Reformierte Kirchengemeinde
in Judtschen
(Kirchenprovinz Ostpreußen)
Lage: 54° 35′ 23″ N, 22° 1′ 29″ OKoordinaten: 54° 35′ 23″ N, 22° 1′ 29″ O
Standort: Wessjolowka
Kaliningrad, Russland
Zweck: Französisch-reformierte Pfarrkirche
Gemeinde: Nicht mehr existent.
Kirchengebäude wurde bis 1985 abgerissen

Die Kirche in Judtschen (der Ort hieß von 1938 bis 1946 Kanthausen) in Ostpreußen wurde von 1725 bis 1727 als Ziegelbau mit Holzturm errichtet und galt als erste französisch-reformierte Kirche in Preußen. Bis 1945 war sie die reformierte Pfarrkirche in dem heute Wessjolowka genannten Ort in der russischen Oblast Kaliningrad (Gebiet Königsberg (Preußen)). Die Kirche wurde zur Sowjetzeit landwirtschaftlich genutzt, verfiel und wurde als „Steinbruch“ bis 1985 vollständig abgerissen.

Geographische Lage

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wessjolowka liegt zwischen den Städten Tschernjachowsk (Insterburg) und Gussew (Gumbinnen) und ist von der russischen Fernstraße A 229 (Einstieg deutsche Reichsstraße 1, heute auch Europastraße 28) aus über einen Landweg unweit der Brücke über die Angerapp (russisch: Angrapa) in südlicher Richtung zu erreichen. Der Ort ist Bahnstation an der Bahnstrecke Kaliningrad–Nesterow (Königsberg–Stallupönen/Ebenrode), einem Teilstück der früheren Preußischen Ostbahn. Das Dorf Wessjolowka ist eine Siedlung im Verbund der Swobodnenskoje selskoje posselenije (Landgemeinde Swobode (Jänischken, 1938–1946 Jänichen)) im Rajon Tschernjachowsk (Kreis Insterburg). Bis 1945 lag der Ort im Kreis Gumbinnen.

Der einstige Standort der Kirche ist nur noch schwer auszumachen.

Kirchengebäude

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Bau der Kirche in Judtschen[1] war seit 1713 geplant, wurde 1721 vom König genehmigt, musste jedoch weitere Verzögerungen hinnehmen, bis er endlich in den Jahren 1725 bis 1727 durchgeführt werden konnte. Es war der erste französisch-reformierte Kirchenbau in Preußen und wurde am 27. April 1727 reformierter Tradition entsprechend feierlich eingeweiht. Es war ein rechteckiger Ziegelbau mit einem 50 Meter hohen, spitzen Holzturm entstanden,[2] in einer Größe von „44 mal 94 Fuß“.

Im Innern nahm die Kanzelwand die gesamte Ostseite ein, vor ihr stand der – nach reformierter Art – ganz schlicht gehaltene Altartisch. Eine Orgel erhielt das Gotteshaus erst im Jahre 1804. In dem in den Jahren mehrfach erneuerten Turm läuteten drei Glocken.

Der Pfarrer Daniel Ernst Andersch (1701–1771) wurde im Juli 1771 in einer Gruft in der Osthälfte der Kirche beigesetzt, an der Stelle, wo sich der Abendmahlstisch befand.

Im Ersten Weltkrieg brannte die Kirche am 24. August 1914 beim Einmarsch russischer Truppen aus und wurde bis 1925 mit verändertem, gedrungenem Turmaufsatz wieder aufgebaut.[3] Die Kirchweihe fand am 2. April 1925 statt.

Kirche in Judtschen um 1900. Skizze nach Postkarte
Das Pfarrhaus von 1865 („Kanthaus“) in Judtschen im Jahre 2013

Den Zweiten Weltkrieg überstand die Kirche nahezu unversehrt. Danach stand sie leer bzw. wurde für profane Zwecke verwendet. Das Gebäude verfiel immer mehr, als es schließlich im Jahre 1985 von der Sowjetarmee abgerissen und die Steine für Straßenbau abtransportiert wurden. Lediglich das nahe der Kirche stehende Pfarrhaus[4] steht noch, wenn auch in recht verfallenem Zustand. Die Bezeichnung „Kanthaus“ ist unzutreffend, da das jetzige Gebäude erst 1865 und damit lange nach der Tätigkeit von Kant als Hauslehrer bei dem Pfarrer von Judtschen errichtet wurde, also Kant nie darin gelebt hat. Dazwischen wurde auch 1810 noch ein neues Pfarrhaus errichtet. Die Pfarrhäuser lagen allerdings immer am gleichen Standort.

Kirchengemeinde

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kirchenvorsteher (ancien) (Liste ist unvollständig):

  • André David Dumernoy (um 1728)
  • Abraham Besson (um 1728)
  • Jacob Pic (um 1729, 1736)
  • Jaques Huguenin (um 1729)
  • Abraham Perroud (um 1736)
  • Ludwich Stamm (um 1747)
  • Jaque Sagne
  • Jean Bouchar
  • Abraham Echement
  • Isaac Suppli (für die Armen)
  • Peter Michel (1730)
  • David Michel
  • Johann Peter Schintz (1750–1818)
  • Peter Beaunwein (Bauwein) (um 1801)
  • Abraham Fouquet (1689–1759)
  • Samuel Loyal (1736, 1755 Kirchenältester)
  • Ludwig Stamm (1755 Kirchenältester)
  • Samuel Foquet (1755 Kirchenältester)
  • Peter Michel (1768)
  • Jacob Py
  • David Py (1723–1806)
  • David Py „ancien“ (1733–1791)
  • Peter Michel
  • David Bouchard (1768)
  • Franz Petri, Stobrigken (ab 6. Januar 1935)
  • Friedrich Pillukat (bis 1936)
  • Leopold Hammer (1930–1936)

Küster und Glöckner 1734 bis 1944 (Liste ist unvollständig):

Kantoren 1714 bis 1944 (Liste ist vermutlich vollständig):

(Quelle: Kirchenbuch Judtschen; Passauer Chronik (Manuskript); Aufzeichnungen im Familienarchiv Loyal; Datenbank der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung in Berlin; APG NF 8. Jg.,1960, Heft 1/6, Hitzigrat, S. 227.)

Kirchengeschichte

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach der Pest der Jahre 1709/10 mit ihrer verheerenden Wirkung war die Bevölkerung derart dezimiert, dass kraft königlichen Befehls Kolonisten aus Deutschland, aber auch aus der Schweiz und aus Frankreich angeworben wurden. Im Jahr 1713 bildete sich in Judtschen eine Gemeinde[5] vor allem aus französischen Schweizern reformierter Konfession: „Reformiert Evangelische Französisch Schweizerische Gemeinde“. Damals wurde mit den Planungen für den Bau einer Kirche begonnen, und 1714 wurde bereits der erste Pfarrer bestellt. Die Gottesdienste wurden in französischer Sprache gehalten, bis am 14. August 1787 in einem Vertrag zwischen der französischen Gemeinde und Pfarrer Müller festgelegt wurde, die französischen Gottesdienste aufzugeben. Alle Nachkommen der Einwanderer beherrschten die deutsche Sprache.

Bis 1722 war die Kirche Judtschen der französisch-reformierten Inspektion, danach der deutsch-reformierten Inspektion mit Sitz in Königsberg (Preußen) zugeordnet. Bis 1945 gehörte die Gemeinde zum eigenständigen Reformierten Kirchenkreis innerhalb der Kirchenprovinz Ostpreußen der Kirche der Altpreußischen Union. Im Jahre 1925 zählte die Kirchengemeinde 1700 Gemeindeglieder, die in 15 Kirchspielorten lebten.

Heute liegt Wessjolowka im Einzugsbereich der in den 1990er Jahren neu entstandenen evangelisch-lutherischen Gemeinde der Salzburger Kirche in Gussew (Gumbinnen). Diese ist Pfarrsitz der Kirchenregion Gussew in der Propstei Kaliningrad[6] der Evangelisch-lutherischen Kirche Europäisches Russland.

Kirchspielorte

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Kirche Judtschen gehörten neben dem Pfarrort noch 14 Dörfer und kleinere Ortschaften:[7]

Deutscher Name Name (1938–1946) Russischer Name
Aweningken
Girnehlen Mühlenruh Pospelowo
*Groß Mixeln Bolschakowo
*Groß Wischtecken Ullrichsdorf Schuwalowo
Grünheide Medweschje
Grünwalde
Klein Wischtecken Ullrichsdorf Olschankoje
Lampseden Lampshagen Karawaljewo
*Lolidimmen Lolen Krasnoje
Plimballen Mertinshagen Markino
*Rosenfelde Nowo Schuwalowo
Skripitschen Tambowskoje
*Stobricken Krammsdorf Kostino
Tittnaggen Krügertal Markino

Lutherische (meist: deutsche) Einwohner dieser Orte besuchten die Kirche Ischdaggen (1938–1946: Branden, russisch: Lermontowo) oder in anderen benachbarten Orten.

Pfarrer

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gründung der Gemeinde am 14. August 1713. Zwischen 1714 und 1945 amtierten in Judtschen (ab 1938 Kanthausen) 14 reformierte Geistliche:[8]

Pfarrer Andersch wurde in der Kirche beigesetzt, die anderen Pfarrer auf dem Friedhof Judtschen oder außerhalb. Der Friedhof ist verwahrlost (2015), deutsche Gräber sind nicht mehr erkennbar.

Literatur

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Dierk und Uwe Loyal, Geschichte von Judtschen/Kanthausen (mit Fotos aus der Zeit vor 1945)
  2. Walther Hubatsch, Geschichte der evangelischen Kirche Ostpreußens, Band 2: Bilder ostpreussischer Kirchen, Göttingen, 1968, Seite 99
  3. Wessjolowka – Judtschen/Kanthausen bei ostpreussen.net
  4. Дом пастора – Pfarrhaus Judtschen bei prussia39.ru (mit Foto aus der Zeit vor 1945)
  5. Walther Hubatsch, Geschichte der evangelischen Kirche Ostpreußens, Band 3: Dokumente, Göttingen, 1968, Seite 508
  6. Evangelisch-lutherische Propstei Kaliningrad (Memento des Originals vom 29. August 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.propstei-kaliningrad.info
  7. Walther Hubatsch, Band 3 (wie oben). * = Schulorte
  8. Friedwald Moeller, Altpreußisch evangelisches Pfarrerbuch von der Reformation bis zur Vertreibung im Jahre 1945, Hamburg, 1968, S. 233. Dierk Loyal, Zur Geschichte der vor 300 Jahren gegründeten Französisch-reformierten Gemeinde Judtschen (Kanthausen) in Ostpreussen, in: Hugenotten, 75. Jg., Nr. 4/2012, S. 143ff.
  9. Bei Pfarrer Andersch war von 1747 bis 1750 Immanuel Kant als Hauslehrer im Pfarrhaus tätig. Dieser Aufenthalt war ausschlaggebend für die spätere Umbenennung von Judtschen in „Kanthausen“ und ließ auch das Pfarrhaus „Kanthaus“ genannt sein
  10. Muttray († 1892) war Angehöriger des Corps Littuania.