Unter Kanon (Plural: Kanons; griechisch für „Maßstab, Richtschnur, Regel“; Adjektiv: kanonisch) versteht man eine mehrstimmige Komposition, bei der eine Stimme nach der anderen einsetzt, wobei die erste Stimme – quasi als Richtschnur[1] – von den anderen Stimmen exakt kopiert wird. Meist in der Prime bzw. Oktave verfolgen alle Stimmen dieselbe Melodie auf gleicher Tonhöhe, nur zeitlich zueinander versetzt. Es gibt jedoch auch Kanonkompositionen, bei denen die weiteren Stimmen im Terz-, Quart- oder Quintabstand folgen.
Ursprünglich bedeutete der lateinische Terminus Canon in der mittelalterlichen Musiktheorie keine musikalische Gattung, sondern – ganz dem Wortsinn entsprechend – eine Anweisung. Solche Anweisungen dienten entweder dazu, Einzelstimmen von Kompositionen – eventuell transformiert – zu wiederholen oder auch weitere Stimmen aus ihnen kontrapunktisch abzuleiten. Der Kanon als Gattungsbegriff entwickelt sich erst im Laufe des 16. Jahrhunderts. Vorher existiert zumindest für den strengen Kanon der Terminus Fuga. Der erste überlieferte Kanon Sumer is icumen in stammt aus dem England des 13. Jahrhunderts. Höhepunkte der Kunstfertigkeit erreichte der Kanon in der Vokalpolyphonie der Niederländer im 15. und 16. Jahrhundert sowie in der Barockmusik, insbesondere bei Johann Sebastian Bach (z. B. Das Musikalische Opfer oder Goldberg-Variationen). Dabei wurde der Kanon zu dieser Zeit als Sonderfall (gebundene Fuge bzw. fuga ligata im Gegensatz zur freien Fuge bzw. fuga libera) der Fuge angesehen, die sich durch eine freiere Imitation der ersten Stimme auszeichnet. Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn[2] schrieben sehr kunstvolle Kanons. Ein Beispiel aus der Romantik sind die Franz Liszt gewidmeten und streng durchgeführten 15 Kanons im Cammerstyl op.1 für Klavier von Friedrich Kiel in verschiedenen Intervallen und teilweise mit Füllstimmen. Großer Beliebtheit erfreuen sich Kanons aller Arten heute in den Gesängen von Taizé.
Der allgemein bekannte strenge Kanon wird üblicherweise als einzelne Melodiezeile notiert; die Einsätze der nachfolgenden Stimmen werden an den betreffenden Stellen mit 1., 2., 3. usw. gekennzeichnet.
In früheren Jahrhunderten (z. B. bei Palestrina) wurde hierfür ein spezielles Kanonzeichen, das signum congruentiae, verwendet (siehe nebenstehendes Bild).
Beispiele für instrumentale Kanons: