Johann Adolph Scheibe.

Johann Adolf Scheibe, auch Johann Adolph Scheibe (* 5. Mai 1708 in Leipzig; † 22. April 1776 in Kopenhagen) war ein deutsch-dänischer Komponist des Barock und als Herausgeber und Autor der Zeitschrift Der Critische Musicus einer der ersten publizierenden Musikkritiker.

Leben

Johann Adolf Scheibe wurde als Sohn des Orgelbaumeisters Johann Scheibe (um 1675–1748) in Leipzig geboren und wuchs dort auf. 1725 begann er ein Studium der Rechtswissenschaften und Philosophie an der Stadtuniversität, musste es jedoch abbrechen, als sich die finanzielle Situation der Familie stark verschlechterte. Er begann nun, sich professionell und großenteils autodidaktisch das Orgel- und Cembalospiel beizubringen. Im Jahr 1729 bewarb er sich erfolglos um den Posten des Organisten der Thomaskirche in Leipzig, wobei sich Johann Sebastian Bach als Thomaskantor, wiewohl er mit dem Vater Scheibes in freundschaftlichem Kontakt stand, für den Mitbewerber Johann Gottlieb Görner entschied.[1] Scheibe war danach von 1730 bis 1735, weiterhin in seiner Heimatstadt, als Musiklehrer und Komponist tätig.

1736 zog er nach Hamburg um, wo es ihm schnell gelang, einflussreiche Freunde wie Mattheson und Telemann zu gewinnen. Letzteren vertrat er während seiner Abwesenheit als Musiklehrer. Von beiden ermutigt, veröffentlichte er von 1737 bis 1740 mit Der critische Musicus eine Zeitschrift, die zu Beachtung gelangte, weil sie sich mit damals wichtigen Fragen musikalischer Ästhetik befasste.

1739 wurde Scheibe auf Schloss Friedrichsruh (in Drage bei Itzehoe) als Kapellmeister des Markgrafen Friedrich Ernst von Brandenburg-Kulmbach, des damaligen Statthalters des dänischen Königs in den Herzogtümern Schleswig und Holstein, angestellt.

1740 wurde er von der Schwester des Markgrafen, der dänischen Königin Sophie Magdalene, als Kapellmeister und königlicher Hofkomponist an den pietistisch geprägten dänischen Hof unter Christian VI. auf Schloss Christiansborg geholt. Scheibe wurde nun schnell eine der führenden Personen im musikalischen Leben der Hauptstadt, leitete das königliche Orchester, komponierte Vokal- (Passionsoratorium 1742, Musik heute verloren) und Instrumentalmusik und war die treibende Kraft in der Errichtung von Dänemarks erster musikalischer Gesellschaft, der „Det musikalske Societet“, die in den Jahren 1744 bis 1749 öffentliche Konzerte veranstaltete.

Nach dem Tod des Königs 1746 gelangte Friedrich V. auf den Thron, der eine Abkehr vom Pietismus vollzog, 1749 Det Kongelige Teater auf Kongens Nytorv in Kopenhagen eröffnete und Theater sowie Oper wieder erlaubte. Der Musikgeschmack wandte sich der italienischen Oper und französischen Singspielen zu. Scheibe war ein unerbittlicher Gegner neuer italienischer Opernmusik und wurde 1748 entlassen. Sein Nachfolger wurde Paolo Scalabrini.

Scheibe verdingte sich in Sønderborg als Musikpädagoge und Übersetzer dänischer Schriftsteller ins Deutsche. Er hielt jedoch seine Kontakte zum Kopenhagener Musikleben aufrecht, komponierte für die halböffentliche „Musikalske Selskab“ und anlässlich königlicher Feiertage gelegentlich Stücke für den Hof (die Trauerkantaten für König Friedrich V. und Königin Louisa gehören zu seinen Hauptwerken). 1749 veröffentlichte er seine Sammlung Neue Freymaurerlieder mit bequemen Melodien – 1746 war er in die Kopenhagener Loge Zorobabel aufgenommen worden.

Während dieser Zeit besuchte er Kopenhagen mehrfach, um die Aufführungen seiner Musik persönlich leiten zu können. 1762 zog er sich ganz dorthin zurück; 14 Jahre später verstarb er.

Literarisches Werk

Scheibe übersetzte Holbergs dänisch-norwegische Werke der Aufklärung ins Deutsche, schrieb eine Biografie über ihn und brachte eine gesammelte, revidierte 2. Ausgabe seines Critischen Musicus (1745) sowie seine Abhandlung vom Ursprung und Alter der Musik (1754) und Über die musikalische Komposition (1773) heraus.

Der Musikkritiker Scheibe über seine Zeitgenossen

Der Musikkritiker Scheibe hielt Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel für die Spitzenkomponisten der Tasteninstrumentalmusik, besonders wegen ihrer überlegen strukturierten und ornamentierten Werke. Auch als Organist, Cembalist und Klavichordspieler schätzte er Bach als unüberwindbar ein, nur Händel sei ihm vergleichbar. Bachs 1735 veröffentlichtes Italienisches Konzert (BWV 971) proklamierte er als Vorbild, das verdiene, von allen Komponisten als Lehrbeispiel für ein wohlkonstruiertes Konzert beachtet zu werden.

Bachs Kirchenkompositionen hielt Scheibe für hochkünstlerisch und elaboriert, in Ausdruck, Überzeugungskraft und Plausibilität seien ihnen die Werke von Georg Philipp Telemann und Carl Heinrich Graun jedoch deutlich überlegen. Seinerzeit würden die meisten Deutschen neben Telemann, Graun und Johann Adolph Hasse als höchstrangige Komponisten genannt haben.

Scheibe veröffentlichte 1737 eine Glosse,[2] in der er darlegte, was ihn an Bachs Musik störte: sie sei unnatürlich, gekünstelt und sein Stil verwirrend. Weil er alle Ornamente ausschreibe, anstatt die Verzierung dem Spieler zu überlassen, überdeckten sie die Schönheit der Melodien und Harmonien. Anstatt eine Melodiestimme zu begleiten, komponiere er zu polyphon, so dass alle Stimmen gleichwertig und das Ganze zu kompliziert sei. Dadurch wirke die Musik überladen, gekünstelt und erdrückend, statt schlicht, natürlich und würdevoll zu klingen, wie Scheibe es für erstrebenswert hielt.

Diese Kritik führte zu der berühmten Replik des Rhetorik-Dozenten Johann Abraham Birnbaum (1702–1748)[3] im Januar 1738.[4] Wegen seiner Kritik an Bach wurde und wird Scheibe von vielen Musikwissenschaftlern, insbesondere von Bachforschern, kritisch gesehen.

Musikalisches Werk

In seiner Autobiografie (gedruckt 1740 von Mattheson) schrieb Scheibe über sein Werk: „Von practischen Arbeiten habe ich zwar noch niemals etwas durch den Druck bekannt gemacht; es sind aber derselben eine ziemliche Menge von mir verfertiget worden. Mehr, als 150. Kirchenstücke, in einer Zeit von 6. oder 7. Jahren; mehr, als 150. Concerten für die Flöte; und mehr, als 30. für die Geige; mehr, als 60. biß 70. Sinfonien; ohne Claviersachen, oder andere Vokal- und Instrumentalarbeiten: nemlich, an Trios, Solos, italiänischen und deutschen Cantaten und dergleichen zu rechnen, sind in eben dieser Zeit von mir gesetzet worden. Hierzu kommen noch einigen starcke Serenaten und Singgedichte, die ich bey unterschiedenen Begebenheiten gemacht habe, ein Paar starcke Passions-Oratoria, und eine Oper; welche letztere aber nicht aufgeführet werden konnte: weil die Opern allhier in Hamburg eben zu der Zeit eingingen, da sie zum Vorschein kommen sollte.“

Nur wenige, kleinere seiner Kompositionen wurden gedruckt. Als Novum für Dänemark führte Scheibe 1742 in der Kirche von Schloss Christiansborg ein Passionsoratorium auf. Überhaupt neu und überwältigend waren damals Aufführungen mit großen Ensembles aus mehreren Dutzend Mitwirkenden. Mit seinen Passionskantaten prägte er das damalige Konzertleben in Dänemark. Scheibes produktivste Schaffensperiode fällt in seine Zeit auf Schloss Christiansborg, das 1794 zusammen mit der königlichen Musikbibliothek abbrannte. Inge Kristiane Brander charakterisiert Scheibes Stil als von den Stilidealen der Barockzeit ausgehend, geprägt aber von dem „Streben nach einem einfacheren und lauteren musikalischen Ausdruck, nach einer reizenden und empfindsamen Melodie“. Erst in neuerer Zeit wird Scheibes Musik (wieder)entdeckt.

Scheibe ist einer der bedeutendsten Repräsentanten aufklärerischer Musik, beeinflusst durch den französischen Klassizismus sowie die Literaten Gottsched und Wolff, und war durch die rationale Imitation der Natur sowie die Verwendung pädagogisch-moralischer Elemente in seiner Instrumentalmusik wegbereitend für den emotionalen Stil. Die Harmonie hatte sich der expressiven Melodie unterzuordnen.

Die Stücke für Flöte gehören zu den wenigen, die bereits zu seinen Lebzeiten gedruckt wurden (von Johann Ulrich Haffner zu Nürnberg, heute verschollen, Musik nur durch die Transkripte aus der Königlich-Dänischen Nationalbibliothek bekannt).

Werke

Instrumentalmusik

Konzerte

Sinfonien

Sonata und Partita

Quadros
Trios und Duos
Soli für Cembalo
Soli für Orgel

Vokalmusik

Lateinische Kirchenmusik

Kirchenkantaten

Passionsmusik

Gelegenheitskantaten

Kammerkantaten

Schriften

Ausgaben

Übersetzungen

Literatur

Einzelnachweise

  1. Albert Schweitzer: Johann Sebastian Bach. Kapitel IX: Erscheinung, Wesen und Charakter. Breitkopf & Härtel, Auflage 2005, ISBN 3-7651-0034-X.
  2. Der Critische Musicus. I. Theil, 6. Stück, 14 May 1737, S. 46–47 (Textarchiv – Internet Archive. S. 46: „Der Herr [Bach] ist endlich in [Leipzig] der Vornehmste unter den Musicanten. Er ist ein ausserordentlicher Künstler auf dem Clavier und auf der Orgel, und er hat zur Zeit nur einen angetroffen, mit welchem er um den Vorzug streiten kan. […] Dieser grosse Mann würde die Bewunderung ganzer Nationen seyn, wenn er mehr Annehmlichkeit hätte, und wenn er nicht seinen Stücken durch ein schwülstiges und verworrenes Wesen das Natürliche entzöge, und ihre Schönheit durch allzugrosse Kunst verdunkelte.“)
  3. Der Scheibe-Birnbaum-Streit
  4. Artikel auf eisenachonline, 10. Januar 2015 (Abgerufen am 12. Oktober 2021)