Hedwig Dohm (um 1870)

Marianne Adelaide Hedwig Dohm (geborene Schlesinger; * 20. September 1831 in Berlin; † 1. Juni 1919 ebenda) war eine deutsche Schriftstellerin und Frauenrechtlerin. Sie war eine der ersten feministischen Theoretikerinnen, die geschlechtsspezifische Verhaltensweisen auf die kulturelle Prägung zurückführte statt auf biologische Determination.

Leben

Berliner Gedenktafel am Haus Friedrichstraße 235 in Berlin-Kreuzberg

Hedwig Dohm war das vierte von 18 Kindern des Tabakfabrikanten Gustav Adolph Gotthold Schlesinger[1] und dessen Frau Wilhelmine Henriette Jülich.[2] Sie wurde, wie neun ihrer Geschwister, nichtehelich geboren, denn ihren Eltern war es erst 1838, nach dem Tod des Großvaters väterlicherseits, möglich zu heiraten. Dieser hatte seinem Sohn die Enterbung angedroht, falls er die ebenfalls nichtehelich geborene Jülich heiraten sollte. Hedwig Dohms Vater stammte aus einer jüdischen Familie und konvertierte 1817 zum Christentum und zur Evangelischen Kirche; ab 1851 durfte er den Familiennamen Schleh führen.

Den Töchtern der Familie wurde nur eine eingeschränkte Schulausbildung zugestanden, während die Söhne das Gymnasium besuchen durften. Mit 15 Jahren musste Hedwig Dohm die Schule verlassen und stattdessen im Haushalt der Familie helfen. Drei Jahre später wurde ihr der Besuch eines Lehrerinnenseminars ermöglicht. 1853 heiratete sie Ernst Dohm, den Chefredakteur der satirischen Zeitschrift Kladderadatsch, mit dem sie zwischen 1854 und 1860 fünf Kinder bekam. Der einzige Sohn Hans Ernst (* 1854) starb mit elf Jahren, die vier Töchter Gertrude Hedwig Anna (1855–1942), Ida Marie Elisabeth (* 1856), Marie Pauline Adelheid (* 1858) und Eva (* 1859, 1. Ehe Max Klein, 2. Ehe Georg Bondi) erhielten eine fundierte Schul- und Berufsausbildung.

Hedwig Dohm war die Großmutter von Katia Mann, der Ehefrau von Thomas Mann, und des Physikers und Astronomen Hans Rosenberg sowie Urgroßmutter der deutsch-schweizerischen Journalistin und Schriftstellerin Eva Maria Borer.[3]

Das Ehepaar Dohm verkehrte in intellektuellen Kreisen Berlins. Hedwig Dohm eignete sich das Wissen für ihre erste Veröffentlichung Die spanische National-Literatur in ihrer geschichtlichen Entwicklung von 1867 autodidaktisch an.

In der ersten Hälfte der 1870er-Jahre erschienen die ersten vier feministischen Bücher von Hedwig Dohm, in denen sie die völlige rechtliche, soziale und ökonomische Gleichberechtigung von Frauen und Männern forderte. Auch das Stimmrecht für Frauen forderte sie bereits 1873, als eine der ersten in Deutschland. Diese vier Essays – einer davon ist Der Frauen Natur und Recht – machten sie mit einem Schlag berühmt, stießen aber auch auf heftige Kritik,[4] nicht nur unter den „Herrenrechtlern“, sondern auch in den Reihen der damaligen bürgerlichen Frauenbewegung, der Dohms radikale Thesen zu weit gingen. Die bürgerlichen Frauen konzentrierten sich auf die Forderung einer verbesserten Schulbildung für Mädchen und die Versorgung ledig gebliebener Mütter. Ende der 1870er-Jahre veröffentlichte Dohm mehrere Lustspiele, die sämtlich im Berliner Schauspielhaus aufgeführt wurden.

1883 starb ihr Mann Ernst Dohm nach langer Krankheit. Nach seinem Tod begann Hedwig Dohm, Novellen und Romane zu schreiben. Als der radikale Flügel der Frauenbewegung Ende der 1880er-Jahre erstarkte, widmete sie sich wieder vermehrt politischen Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften. Außerdem war sie Mitbegründerin mehrerer radikaler Vereine, u. a. des Frauenvereins Reform (später Verein Frauenbildung–Frauenstudium), der sich für eine umfassende Bildungsreform und das Frauenstudium einsetzte. Sie trat Minna Cauers radikalem Verein Frauenwohl bei und als 74-Jährige wurde sie Mitglied der Gründungsversammlung von Helene Stöckers Bund für Mutterschutz und Sexualreform. Bis zu ihrem Tod 1919 veröffentlichte sie mehrere Essaybände und fast hundert Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, in denen sie sich zu aktuellen Debatten in Literatur und Politik äußerte und positionierte.

Der neue Grabstein für Hedwig Dohm auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin, fotografiert 2009

Im Ersten Weltkrieg (1914–1918) gehörte Dohm zu den wenigen Intellektuellen, die sich von Anfang an gegen den Krieg äußerten; dem „Hurra-Patriotismus“ stand sie kritisch gegenüber. In ihren letzten Schriften, die sie zumeist in explizit pazifistischen Medien wie Franz Pfemferts Die Aktion veröffentlichte, gab sie sich als kompromisslose Pazifistin zu erkennen. Die Einführung des Frauenwahlrechts 1918 in Deutschland erlebte sie noch.

Hedwig Dohm starb mit 87 Jahren am 1. Juni 1919. Sie ist auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg begraben. Der Journalistinnenbund hat am 22. September 2007 dort eine Gedenkstätte mit neuem Grabstein errichtet. Im August 2018 beschloss der Berliner Senat, Hedwig Dohm als Persönlichkeit mit besonderer Bedeutung für Berlin mit einem Ehrengrab zu ehren. Die feierliche Einweihung fand am 24. März 2019 im Beisein der Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler, und weiteren Vertretern der Politik sowie des Journalistinnenbundes statt.[5][6]

Schaffen

Hedwig Dohm war eine frühe Vordenkerin des Feminismus. Sie forderte gleiche Bildung und Ausbildung für Mädchen wie für Jungen. Sie war überzeugt davon, dass ökonomische Selbständigkeit der einzige Weg für Frauen sei, um nicht mehr zwangsläufig im „Ehegefängnis“ zu landen, sondern sich freiwillig für oder gegen eine – dank der ökonomischen Unabhängigkeit gleichberechtigte – Partnerschaft mit einem Mann entscheiden zu können.[7]

Neben den Forderungen nach gleicher Ausbildung und weiblicher Erwerbstätigkeit sprach sie sich vehement für das Frauenwahlrecht aus.

Helene Lange urteilte 1925: „Die Respektlosigkeit und Selbstsicherheit, mit der Hedwig Dohm ihre geistreiche Feder gegen die Männer führte, war vielen noch ganz ‘in der Furcht des Herrn’ erzogenen Frauen zu ungewohnt.“[8]

In Die Antifeministen[9] von 1902 deckt Hedwig Dohm in humorvoller Sprache die Ideologien der Vordenker und Meinungsmacher ihrer eigenen Zeit auf und entlarvt deren Widersprüche und Furcht vor dem weiblichen Geschlecht als dümmliche Verteidigung von Machtansprüchen.

In Die Mütter[10] von 1903 thematisiert Dohm die Mutterliebe, die ihrer Ansicht nach kein natürlicher Trieb sei, sondern anerzogen und – in Ermangelung anderer Betätigungsfelder für Frauen – kultiviert werde. Damit auch Mütter weiter ihrem Beruf nachgehen könnten, schlägt sie vor, Hausarbeit und Kinderziehung durch Institutionen erledigen zu lassen.

Würdigung

Hedwig-Dohm-Straße, Berlin

Schriften

Gesellschaftspolitische Schriften

Erstausgabe von Die Antifeministen

Außerdem verfasste Dohm fast 100 Artikel, Rezensionen, Gesellschaftsanalysen und -polemiken für Zeitungen und Zeitschriften.

Prosatexte

Bühnenwerke

Edition Hedwig Dohm

Erste kommentierte Gesamtausgabe der Werke Dohms, Herausgeberinnen Nikola Müller & Isabel Rohner. Trafo, Berlin

Literatur

Über Hedwig Dohm

Einzelnachweise

  1. Hedwig Dohms Vater wurde als Echanan Cohen Schlesinger geboren und war jüdischer Religion aus Frankfurt am Main. Erst 1817 änderte er in Berlin seinen Namen. Aus: Heike Brandt: Die Menschenrechte haben kein Geschlecht – Die Lebensgeschichte der Hedwig Dohm. Beltz & Gelberg, Weinheim und Basel 1995, ISBN 978-3-407-80688-8, S. 7.
  2. Hedwig Dohms Mutter entstammte einer armen Familie und wurde 1809 als nichteheliches Kind in Berlin geboren. Das Einzige, was über den Großvater bekannt war, ist, dass er französischer Nationalität gewesen sein soll. Aus: Heike Brandt, ebd.
  3. Eckart Roloff: Eine starke Stimme für die Frauen. Hedwig Dohm. In: Michael Haller, Walter Hömberg (Hrsg.): „Ich lass mir den Mund nicht verbieten!“ Journalisten als Wegbereiter der Pressefreiheit und Demokratie. Reclam Verlag, Ditzingen 2020, S. 114–117, ISBN 978-3-15-011277-9
  4. Stephan Meder: Familienrecht. Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Wien, ISBN 978-3-8252-3901-5, S. 191.
  5. Ehrengrabstätten für namhafte und verdiente Persönlichkeiten. 23. August 2018, abgerufen am 26. März 2019.
  6. Einweihung des Ehrengrabs für Hedwig Dohm – Journalistinnenbund. Abgerufen am 26. März 2019.
  7. Stephan Meder, Arne Duncker, Andrea Czelk: Die Rechtsstellung der Frau um 1900. Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Wien, ISBN 978-3-412-20577-5, S. 305.
  8. Helene Lange: Lebenserinnerungen. Im Beruf im Projekt Gutenberg-DE Herbig, Berlin 1925.
  9. Hedwig Dohm: Die Antifeministen im Projekt Gutenberg-DE
  10. Hedwig Dohm: Die Mütter im Projekt Gutenberg-DE
  11. Straßennamenlexikon. Stadt Freiburg, abgerufen am 27. August 2023.
  12. Reingard Jäkl: Die radikalste aller Frauen. In: Gigi. Zeitschrift für sexuelle Emanzipation, September 2007.
  13. Einweihungsfeier des Beruflichen Schulzentrums – Auszeichnung für Nachhaltigkeit. In: hedwig-dohm-schule.de, 2013, abgerufen am 15. Februar 2018.
  14. Neue Ehrengrabstätten (PDF; 188 kB)
  15. Kaufrausch am Deich. 4. November 2020, abgerufen am 14. November 2020.
  16. Straßennamen 1. BA beschlossen. Abgerufen am 11. Januar 2022 (deutsch).
  17. Jens: Wer war Hedwig Dohm? Sehr schönes Google-Doodle zum 192. Geburtstag der deutschen Schriftstellerin. 20. September 2023, abgerufen am 20. September 2023 (deutsch).
  18. Brandt in der Übersetzer-Datenbank des VdÜ, 2019