Hannelore Gilsenbach bei einer Veranstaltung im Gilsenbach-Haus, Brodowin (2008)

Hannelore Gilsenbach (* 2. Februar 1950 in Ueckermünde) ist promovierte Biologin, Schriftstellerin, Journalistin, Liedermacherin, Musikerin und Publizistin. Sie gehörte zusammen mit ihrem Ehemann Reimar Gilsenbach zu den bekanntesten Umweltaktivisten in der DDR.

Leben

Hannelore Dorothea Gilsenbach (geb. Ulrich) wuchs in Ueckermünde am Oderhaff (Stettiner Haff) auf und lernte von ihrer Mutter, die Natur zu erleben und zu lieben. Im Alter von 14 Jahren zog sie in ein Internat nach Anklam, um dort an der Erweiterten Oberschule „Geschwister Scholl“[Anm. 1] 1968 das Abitur abzulegen. Parallel dazu absolvierte sie eine Berufsausbildung als Agrotechnikerin. Im Rahmen dieser Berufsausbildung erwarb sie Führerscheine für LKWs, Traktoren und landwirtschaftliche Maschinen.

Von 1968 bis 1972 studierte sie an der Universität Rostock Biologie (Fachbereich Meeres- und Fischereibiologie).[Anm. 2]

Aus ihrer ersten Ehe 1971 mit J. Kurth stammt ein Sohn, die Ehe wurde 1988 geschieden.

Nach dem Abschluss ihres Studiums trat Hannelore Kurth eine Stelle in Eberswalde als Wissenschaftlerin beim Institut für Pflanzenschutzforschung Kleinmachnow an.

Ebenfalls 1972 gründete sie zusammen mit drei Arbeitskollegen in Eberswalde die Rhythm-and-Blues-Gruppe R&B Collegium[Anm. 3] und gab dort bis 1985 dem Blues und Soul ihre Stimme.

1979 promovierte sie an der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR im Bereich Pflanzenproduktion.[Anm. 4]

Hannelore Kurth war als Sängerin Mitglied des Kulturbundes. Von 1979 bis 1985 wirkte sie als Abgeordnete mit Kulturbund-Mandat im Kreistag von Eberswalde.[Anm. 5] Dort setzte sie sich aktiv für Umwelt- und Naturschutz ein, zum Beispiel bei der Erarbeitung einer Naturschutzkonzeption für den Kreis Eberswalde und eines Landschaftspflegeplans für das Landschaftsschutzgebiet Choriner Endmoränenbogen.[Anm. 6] Bei den Aktionen gegen die Parstein–Rallye[Anm. 7] lernte sie den Umweltaktivisten Reimar Gilsenbach kennen, der seit 1975 in Brodowin lebte, ebenfalls Mitglied des Kulturbundes war und dort im Zentralvorstand der Gesellschaft für Natur und Umwelt aktiv war.[1][2]

Ab 1984 führten die gemeinsamen Interessen von Hannelore Kurth und Reimar Gilsenbach zu einer engeren Beziehung: Sie komponierte Lieder zu seinen Texten und trug sie zur Gitarre vor. So entstanden zwei musikalisch-literarische Programme zu Themen des Natur- und Umweltschutzes: „Zuspruch für Verletzbare“ (1986) und „Trostlied für Mäuse“ (1988). Zu den Textbeiträgen und Liedern wurden Lichtbilder gezeigt, die die Umweltzerstörung auf dem Gebiet der DDR zeigten. Mit diesen Programmen traten sie bis zur Wende fast einhundert Mal landesweit auf. Sie fanden ihr Publikum in der DDR–Oppositionsszene, in kritischen Kulturbund- und Kirchenkreisen.[3][Anm. 8]

1988 kündigte Hannelore Kurth ihre Stellung am Eberswalder Institut und arbeitete fortan als freie Schriftstellerin. Sie veröffentlichte Bücher, Artikel in Fachzeitschriften und Anthologien und erstellte Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften, Fernseh- und Rundfunkproduktionen.

Während der Zeit der Wende und friedlichen Revolution in der DDR saß Hannelore Kurth zusammen mit Reimar Gilsenbach in beratender Funktion für die Grüne Partei am Zentralen Runden Tisch.[Anm. 9]

1991 heirateten Hannelore und Reimar Gilsenbach. Gemeinsam mussten sie nach Einsicht in ihre Stasi-Unterlagen feststellen, dass engste Angehörige und Bekannte sie als Inoffizielle Mitarbeiter ausspioniert hatten. Wegen ihrer Aktivitäten sollten sie beide im Rahmen des Stasi–Geheimprojekts „Vorbeugekomplex“ (Befehl 1/67 von Erich Mielke) im Fall besonderer innenpolitischer Spannungen oder dem Verteidigungsfall unter der Kennziffer (Kz.) 4.1.3 verhaftet und in Isolierungslagern interniert werden.[4][5]

Neben dem Schutz von Natur und Umwelt setzte sich Hannelore Gilsenbach auch für die Belange indigener Völker ein. 1994 war sie Mitgründerin des Vereins Bund für Naturvölker (später Bund für indigene Völker), für den sie von 1996 bis 2010 die Redaktion der Zeitschrift Bumerang leitete.

Gemeinsam mit ihrem Ehemann gründete sie 1998 die Musikgruppe Cantus Terrae[Anm. 10], die bis 2005 bestand. Im Repertoire der Gruppe fanden sich Stimmen und Geräusche der Natur in Liedern und Instrumentalstücken. Bei öffentlichen Konzerten trug Hannelore Gilsenbach dazu Gedichte und Kurzprosa vor. Die Texte stammten von Reimar, die Kompositionen und Arrangements von Hannelore Gilsenbach.

Nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahre 2001 führte Hannelore Gilsenbach die gemeinsam begonnenen Aktionen, Konzerte und Programme weiter; unter anderem initiierte sie 2004 auch die Neuen Brodowiner Gespräche als Fortsetzung der Brodowiner Gespräche, die von Reimar Gilsenbach 1981 in seinem Haus am Kleinen Plagesee ins Leben gerufen worden waren.

Ab 2008 beteiligt sie sich als Gesprächspartnerin und Musikerin am Brandenburger Festival des Umwelt- und Naturfilms („Ökofilmtour“).

Seit 2011 singt und spielt Hannelore Gilsenbach in dem von ihr mitbegründeten Trio IntiSonLatino.[Anm. 11] Die Gruppe nimmt ihre Zuhörer mit auf beschwingte aber auch nachdenkliche Reisen durch Südamerika und die Karibik.[Anm. 12]

2018 wurden ihre herausragenden Leistungen für Brandenburg mit der Verleihung der Landtagsmedaille gewürdigt.[6]

Werke

Als Autorin

In Funk und Fernsehen

Als Herausgeberin/Redakteurin

Als Musikerin

Programme

Literatur

Einzelnachweise

  1. Susanne Messmer, Claudius Prösser: Der Geist von Brodowin. In: Die Tageszeitung. 4. Juni 2016, ISSN 1434-4459 (taz.de [abgerufen am 3. Mai 2020]).
  2. Hannelore Kurth: Parstein–Rallye. oder: Wie ein Ratsvorsitzender gewendet wurde. In: Annegret Herzberg (Hrsg.): Staatsmorast – 21 Autoren zur Umwelt. a&i, Weißenhorn, Lübeck 1991, ISBN 3-928496-07-7, S. 115–131.
  3. Hannelore Kurth: Kreuzfahrten für die Umwelt. Durch die Öko–Szene von Rostock bis Suhl. In: Susanne Raubold (Hrsg.): Go East! DDR – Der nahe Osten. Elefanten Press Verlag, Berlin 1990, ISBN 978-3-88520-349-0, S. 110–117.
  4. Siehe Geplante Isolierungslager der Stasi. Im ORB/Focus 11. April 1995.
  5. Siehe dazu auch: Reimar Gilsenbach: Wer im Gleichschritt marschiert... S. 293.
  6. 30 für ein besseres Brandenburg. Präsidentin und Abgeordnete verliehen Medaille des Landtags an Bürgerinnen und Bürger. 20. April 2018, abgerufen am 30. April 2020.

Anmerkungen

  1. das heutige Lilienthal-Gymnasium
  2. Thema der Diplomarbeit: „Qualitative und quantitative Untersuchungen des Phytoplanktons vor Nordwestafrika (Ankerstation vor Kap Blanco und küstenferne Stationen auf 30 Grad West)“
  3. ursprünglich Rhythm & Blues Collegium
  4. Thema der Dissertation: „Biologisch–ökologische Grundlagen zur Modellierung der Populationsdynamik des Kartoffelkäfers, Leptinotarsa decemlineata (Say).“
  5. d. h. sie war vom Kulturbund in den Kreistag delegiert worden
  6. Dieses Landschaftsschutzgebiet wurde 1957 um das Plagefenn herum gebildet, heute gehört es – wie das Plagefenn – zum Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin.
  7. Die Parstein–Rallye war ein Autorennen mit rund 100 Teilnehmern, das vom VEB Pneumant Reifenkombinat Fürstenwalde jährlich im Frühjahr veranstaltet wurde. Schädlich für die Umwelt war die Streckenführung auf Pflasterstraßen durch Naturschutzgebiete sowie der Zeitpunkt der Rallye, weil durch den Lärm und Gestank der Fahrzeuge die im Frühling brütenden Großvogelarten erheblich gestört wurden. Die Aktionen gegen diese Autorennen waren nur kurz erfolgreich, vermutlich auch weil der Sohn des Chefs der Staatssicherheit Erich Mielke zum Rallyevorstand gehörte. Siehe dazu: Ökodorf Brodowin e. V. (Hrsg.): Wandern rund um Brodowin. 2019, S. 127–128 (jimcontent.com [PDF; abgerufen am 3. Mai 2020] Station Kleiner Plagesee).
  8. Normalerweise hätten solche Auftritte von Liedermachern durch die Abteilung Sozialistische Kulturpolitik genehmigt werden müssen, aber da Reimar Gilsenbach als Schriftsteller und Hannelore Kurth als Wissenschaftlerin auftraten, entfiel die Genehmigungspflicht.
  9. siehe Runder Tisch#Zentraler Runder Tisch in der DDR 1989/1990
  10. Lied der Erde
  11. der Name setzt sich zusammen aus den Wörtern Inti (Sonnengott der Inka), Son (Musikstil aus Kuba) und Latino (lateinamerikanischer Herkunft).
  12. Die Gruppe besteht aus Braulio Fidel (Cuba), Hector Garibaldy (Ecuador) und Hannelore Gilsenbach; Gastmusiker kamen aus Argentinien, Ecuador, Cuba und Venezuela; die Konzerte fanden bislang überwiegend in der Region Brandenburg statt.