Found Footage (deutsch: Gefundenes Filmmaterial) ist ein filmwissenschaftlicher Begriff, der eine Bedeutungserweiterung erlebt hat. Inzwischen werden, je nach Umfeld, Filmbeispiele zweier eigentlich grundverschiedener Genres als Found-Footage-Filme bezeichnet.
Ursprünglich wurde der Begriff Found-Footage-Film nur für solche Werke benutzt, die ganz oder teilweise aus Material bestehen, welches nicht von den Filmemachern selbst erstellt oder konzipiert wurde. Am häufigsten kommt dieses Subgenre im Bereich des Experimental- und Avantgardefilms vor.[1] Das „gefundene“ Material entstammt allen möglichen Quellen: Filmabfällen und Filmresten, Archivaufnahmen, Amateurfilmen, Lehrfilmen, Unternehmensfilmen, und auch Dokumentarfilmen oder Spielfilmen. Dabei gibt es unterschiedliche Formen des Umgangs mit dem Material, seiner Zusammensetzung und der Art seiner Aneignung und Umdeutung.
Found-Footage-Filme sind eng verwandt mit Kompilationsfilmen und Collage-Filmen, und wie diese vor allem durch ihren Schnitt geprägt. Im Unterschied zum klassischen Kompilationsfilm stellen Found-Footage-Filme mehr den formal-ästhetischen Zustand des gefundenen Materials in den Mittelpunkt und weniger dessen inhaltliche Aspekte.[2] Meistens lösen sie das Material völlig aus seinem ursprünglichen Kontext und deuten es durch die Montage neu.
Diese Definition von Found-Footage-Filmen ist in filmwissenschaftlichen Kreisen weiterhin die Norm.[3]
Seit den 1990er Jahren wird der Begriff Found Footage im populären Film-Jargon auch benutzt, um eine insbesondere bei Horrorfilmen angewandte narrative Gestaltungsmethode zu beschreiben. In der Handlung dieser Filme geht es oft um Aufnahmematerial, das verstorbenen oder vermissten Personen zugeordnet und erst im Nachhinein gefunden wird.[4] Das Material ist kein Found Footage im Sinne der ursprünglichen Definition, sondern es wird speziell für den Film so inszeniert, dass es eine pseudo-dokumentarische Wirkung entfalten kann oder wie authentisches Amateurfilm-Material aussieht. Die Aufnahmen werden häufig von den Schauspielern selbst gemacht, die das Geschehen hinter der Kamera kommentieren und ihre Texte dabei manchmal auch improvisieren. Es gibt aber auch andere Formen. Typischerweise verwenden diese Filme in der Materialbehandlung mindestens eine von vier Gestaltungsmethoden:[5]
Dieses Subgenre, alternativ auch POV-Film (point-of-view film) genannt,[6] wurde durch den Horrorfilm Blair Witch Project (1999) populär und erlebt seitdem eine signifikante Verbreitung. Der 2007 erschienene Horrorfilm Paranormal Activity und dessen nachfolgende Filmreihe gaben dem Genre einen weiteren Schub.
Filmwissenschaftler wie David Bordwell kritisieren die Verwendung des Begriffs Found Footage für die fiktionale Erzählmethode, weil dadurch die ursprüngliche Definition ausgehebelt wird, obwohl diese in der Fachliteratur weit verbreitet und etabliert ist. Bordwell spricht stattdessen bei Filmen wie Blair Witch Project oder Cloverfield von discovered footage (deutsch: „entdecktes Material“).[7] Diese subtile semantische Unterscheidung hat sich aber bisher nicht durchsetzen können, wie die zahlreich im Internet kursierenden Listen[8][9] und Spezialseiten[4][5] zeigen.
In einem Aufsatz an der Universität Calgary schlägt Felicia Glatz den Begriff Imitation Found Footage Film vor,[10] um die fiktionale Erzählmethode im Horrorfilm-Subgenre zu beschreiben.[11] In dem Versuch, die dokumentarische Echtheit von gefundenem Material zu „imitieren“, sieht sie eine schlüssige Weiterentwicklung der postmodern geprägten Methode der Appropriation, welche sich wiederum aus der Kompilation und der Collage entwickelt habe.[10] Glatz fügt damit jener dreistufigen Chronologie der Fremdmaterial-Nutzung (Kompilation, Collage, Aneignung), wie sie William C. Wees in seinem Buch Recycled Images beschreibt,[12] eine vierte Stufe hinzu: Imitation, geprägt durch die zeitgemäße ästhetische Neigung zur virtuellen Realität.[13]
→ Liste von Found-Footage-Filmen (Material-Aneignung)
→ Liste von Found-Footage-Filmen (Erzählmethode)