Tacitus, Annales (Ende des 11. und Anfang des 12. Buches) in der Handschrift Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Plut. 68,2, fol. 6v (2. Hälfte des 11. Jahrhunderts)
Erstausgabe der Bücher 11–16 durch Wendelinus de Spira, Venedig 1472

Annales („Annalen“) ist der übliche Titel des zweiten großen Geschichtswerks (neben den Historien) des römischen Historikers Tacitus. Der handschriftlich überlieferte Titel lautet allerdings Ab excessu divi Augusti („ab dem Tod des göttlichen Augustus“).

Überlieferung

Im 9. Jahrhundert wurden die ersten sechs Bücher der Annales im Kloster Fulda kopiert. Eine Abschrift gelangte als Urhandschrift ins Kloster Corvey bei Höxter, wo sie 1508 von einem weltlichen Gelehrten wiederentdeckt und später im Auftrag italienischer Humanisten gestohlen wurde. Papst Leo X. gelangte in den Besitz der Abschrift und veranlasste die Veröffentlichung. Sie befindet sich heute in der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz und wird unter der Sigle Codex Mediceus I = Codex Laurentianus Plut. 68,1 geführt. Die Bücher 11–16 sind in einer Handschrift aus der Abtei Montecassino aus dem 11. Jahrhundert als Urhandschrift überliefert, die vermutlich ebenfalls aus Deutschland stammte und sich heute in der Laurenziana befindet und die Sigle Codex Mediceus II = Codex Laurentianus Plut. 68,2 trägt; diese Handschrift ist gleichfalls die Urhandschrift für die „Historien“ des Tacitus.[1]

Darstellung

Das Werk bestand aus 16 (möglicherweise auch 18) Büchern.[2] Es behandelte die Zeit vom Tod des Augustus und dem Regierungsantritt des Tiberius bis (wahrscheinlich) zum Tod Neros. Vollständig erhalten sind die Bücher 1 bis 4 sowie 11 bis zum Beginn von Buch 16, wobei der Anfang des 11. und der Schluss des 16. Buchs fehlt. Teilweise erhalten sind die Bücher 5 (sehr fragmentarisch) und 6. Die Lücken im Werk umfassen die Jahre 29–31, 37–47 sowie 66–68 n. Chr.

Die Annales wurden zwischen 110 und 120 n. Chr. veröffentlicht und sollten die Zeit vor dem in den Historien behandelten Zeitraum abdecken. Sie sind das letzte und reifste Werk des Tacitus (Manfred Fuhrmann), stilistisch wohl unübertroffen. Das Werk ist der Höhepunkt der römischen Annalistik und der senatorischen Geschichtsschreibung. In späterer Zeit gewann allerdings die biographische Darstellung, die mit Sueton wirkungsmächtig in der römischen Geschichtsschreibung einsetzte, die Oberhand. Erst Ammianus Marcellinus knüpfte wieder an Tacitus an.

Tacitus, Annales 15,44 (Ausführungen über die Christenverfolgung Neros) in der Handschrift Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Plut. 68,2, fol. 38r (2. Hälfte des 11. Jahrhunderts)

Auch wenn Tacitus in seinem Werk nach eigenen Worten eine objektive Beschreibung ohne Parteilichkeit anstrebt („sine ira et studio“, 1,1,3), so ist er dennoch teilweise sehr parteiisch, besonders was die Regierungszeit des Tiberius betrifft. Die moderne Forschung hat das in den Annales vermittelte Bild eines düsteren Tyrannen in weiten Teilen korrigiert. Tacitus hing offenbar immer noch dem alten Ideal einer res publica libera an und kritisierte das Kaisertum ganz generell.[3] Seine Bewunderung galt dem alten republikanischen Rom, wenngleich er sich nicht der Illusion hingab, dass die Republik wiederherzustellen sei, zumal das Prinzipat auch dem Chaos der Bürgerkriege ein Ende bereitet hatte, was Tacitus sehr wohl anerkannte. Generell ist das Geschichtsbild dennoch von einem recht starken Pessimismus geprägt, wobei er den Sittenverfall seiner Zeit und den Verlust der Freiheit beklagt, die in der Republik freilich ebenfalls nur einer Minderheit vergönnt gewesen war.[4]

Die Darstellung in den Annales wechselt immer wieder zwischen der Lage in Rom und am Hof sowie der Darstellung der Außenpolitik, besonders der Feldzüge gegen die Germanen unter Germanicus (Germanicus-Feldzüge 14 bis 16 n. Chr.) und die Politik gegenüber dem Partherreich. Die Quellenlage hierzu ist schwer einzuschätzen, da Tacitus nur selten über seine Quellen Auskunft gibt. Er benutzte aber offenbar mehrere (heute verlorene) Quellen, darunter Archivmaterial, die verlorenen Historien des älteren Plinius sowie dessen ebenfalls nicht erhaltenes Werk über die Germanenkriege in 20 Büchern.[5] Daneben wurden unter anderem die Erinnerungen der Agrippina sowie vermutlich die Geschichtswerke des Fabius Rusticus und des Cluvius Rufus genutzt. In Frage kommen auch die Historien des Aufidius Bassus und das Werk des Servilius Nonianus.

Ausgaben, Übersetzungen und Kommentare

Einsprachig lateinische Ausgaben

Übersetzungen, teils mit Kommentar

Wissenschaftliche Kommentare

Literatur

Anmerkungen

  1. Dieter Mertens: Die Instrumentalisierung der „Germania“ des Tacitus durch die deutschen Humanisten. In: Heinrich Beck (Hrsg.): Zur Geschichte der Gleichung „germanisch – deutsch“. De Gruyter, Berlin u. a. 2004, ISBN 3-11-017536-3, S. 37–101 (PDF; 6,2 MB).
  2. Hieronymus kannte die Annales und die Historiae als 30 Bücher umfassende Kaisergeschichte: Comm. in Zachar. 3, 14. Demnach haben die Historien des Tacitus 14 bzw. 12 Bücher umfasst.
  3. Annales, 1, 1f.
  4. Allgemein von Albrecht (2003), bes. S. 889 ff.
  5. Die Werke gingen bereits in der Spätantike verloren, siehe Symmachus, Epistulae 4,18.